Anser

[65] Anser.

Anser, frantzösisch, Oye oder Jars, zu teutsch, die Gans, ist ein gantz bekannter Vogel, und giebet dessen zweyerley Gattungen, zahme und wilde.

In die Küche kommt er weit öfter, als zur Artzney. Er führet viel Oel und flüchtiges Saltz.

Dieser Vogel wohnet gern an feucht- und wässerigen Orten, er findet sich auch in allen Ländern, und lebet lange Zeit. Die zahme Gans flieget schwerlich, und erhebet sich nicht gar hoch von der Erde: die wilde hingegen fleucht sehr hoch und leichte. Er schläft nicht veste, und ist leichtlich zu erwecken: er ist ehedessen so gut geachtet worden, als ein Wächterhund im Hause; dann, sobald er nur das geringste Geräusche vernimmt, so schlägt er mit den Flügeln, und macht ein groß Geschrey, als ob er iemand zu sich ruffen wolte. Die Gänse sollen ehemals im Capitolio zu Rom als Wächter seyn gehalten worden, und durch ihre Wachsamkeit verhütet haben, daß es die[65] Gallier nicht überrumpeln können. Sonst läst sich dieser Vogel leicht abrichten, wie ich dann einen gesehen, der, wie ein Hund einen Bratenwender gedrehet. Die stärcksten Federn aus den Gänseflügeln werden geschnitten, und zum schreiben gebraucht.

Das Fleisch von einer fetten Gans ist gut zu essen: es ist vest und dicht, und giebt eine gute Nahrung, hat einen guten Saft und schmecket wohl; ist aber etwas schwerlich zu verdauen.

Das Gänsefett oder Gänseschmaltz erweichet und zertheilet: öffnet den Leib, wann es innerlich gebrauchet wird: man pfleget diejenigen Theile damit zu reiben, auf welche ein Fluß gefallen: es stillet das Sausen in Ohren, wann es darein gestrichen wird: es lindert auch die göldne Ader und Mastkörner: und vertreibet die Pockengruben.

Das Gänseblut wird dem Gifte zu widerstehen dienlich erachtet: die dosis ist 1. bis 2. Quintlein.

Gänsekoth, wird lateinisch Chenocoprus genannt, und ist von χὴν, Anser, die Gans, κόπρος, Roth, zusammen gesetzt: er zertheilet und verdünnert die Feuchtigkeiten: treibt den Urin und der Weiber Zeit: gepülvert befördert er die Geburt, und wird auf ein Quintlein eingegeben.

Die oberste Haut an den Gänsefüssen ist anhaltend, und darum gut das Bluten zu stillen, wann sie gestossen, eines halben Quintleins schwer genommen wird.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 65-66.
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