Cervus

[279] Cervus.

Cervus, frantzösisch, Cerf, teutsch, der Hirsch, ist ein vierfüßiges Thier mit Hörnern, welches so groß und starck als wie ein Pferd, sehr hurtig und von schnellem Lauff, und wilde, lebet sehr lange, und ist mit fahlrothen oder röthlichten Haar bedecket. Der Vordertheil von seinem Kopf ist breit. Die Hörner sind lang und zanckigt, vest, hart und starck: frantzösisch heissen sie Bois de Cerf, auch Tête de Cerf teutsch, Gehörn, Geweih, Gewicht, Hirschgeweih; und dienen ihm zu seiner Beschützung. Kleine Ohren hat er, und einen langen Hals, der Schwantz ist kurtz, der Fuß, oder die Klaue, gespalten. Er hat seinen Aufenthalt im Holtze, und nähret sich mit Gras und Kräutern, von Früchten und von Schlangen, auch andern dergleichen kleinen Thieren. Er soll, der Sage nach, etliche hundert Jahre leben können. Sein Fleisch ist gut zu essen, wann er jung ist gefället worden, und nicht in der Brunst gestanden hat.

Alle Jahre wirfft er sein Gehörn, gegen den Monat April hin, und da kommt er schier gar nicht vor den Tag, sondern verkreucht und verschleicht sich im[279] Gebüsche, als ob er sich schämete, daß er sein Gewehr und seinen Zierrath eingebüsset, bis daß ihm ein neues Gewichte an des alten Stelle wieder kommen ist, oder, bis er wieder aufgesetzet hat. Weil diese Hörner noch im Wachsen, sind sie von Natur, mit einer dicken Haut, als wie mit einem Harnisch oder Küraß überzogen und drein eingehüllt, die ist mit dichten, kurtzen, grauen und gelinden Haar besetzt, die Spitzen aber sind zu der Zeit rund erhaben. Die stärcksten Hirsche setzen ihr Geweih viel eher, als die andern auf; das ist auch um ein gutes grösser und viel stärcker. Schneidet man darein, weil sie noch zart und weich, und mit der Haut bedecket sind, so laufft viel Blut heraus. Sobald sie aber ihre völlige Grösse überkommen haben, werden sie durch und durch gantz harte, als wie Bein: die Spitzen werden am langsamsten harte. Weil nun sodann die rauche Haut keine Nahrung weiter nicht empfängt, so vertrocknet sie, löset sich ab, und fällt stückweis herunter, hinterlässet solchergestalt die Hörner blos, dicht und glatt, und mannigfarbig; es werden auch die Zincken, wann sie nun nicht ferner eingewickelt seyn, viel spitziger. Wann sich die Haut nicht behende genug lösen will, so ist der Hirsch gewohnet sein Gewichte wider die Steine und Bäume zu reiben, damit er sie abstreiffeln möge (das heissen die teutschen Jäger und Schützen, schlagen.)

Das Weiblein heist lateinisch, Cerva, frantzösisch, Biche, teutsch, eine Hirschkuh, und ist so groß, als wie der Mann, hat aber keine Hörner. Sein Haar ist röthlicht: er siehet scharff, und läufft gar ungemeine schnell; tritt in die Brunst, als wie der Hirsch, gegen den Augustus und September, träget acht Monat lang, und setzt nur eines auf einmahl.

In Indien um Batavia herum giebts kleine Rehe, die werden niemahls höher als ein kleiner Hund, und ihre Läuffte sind nicht dicker, als eines Kindes kleiner Finger, die Klauen sind etwan so dick als eine mittelmäßige Bone, im übrigen gestalt als wie ein Rehefuß und grau. Diese kleinen Thierlein sind dermassen wilde, daß, wann sie eingefangen sind, ohn einiges aufhören herum springen und unruhig sind, sie lassen sich auch durchaus nicht zähmen und erhungern sich viel eher selbst.

Das junge vom Hirschen und der Hirschkuh heist auf lateinisch Hinnulus, frantzösisch, Faon oder Fan, teutsch, ein Hirschkalb.

Alle Theile am Hirsche führen viel flüchtig Saltz und Oel.

Das junge Gehörn, oder die Hirschkolben, frantzösisch, Cornichons, die ihm nur kürtzlich wieder gewachsen sind, und auch Tête oder Cru de Cerf genennet werden, sind einen gantzen Monat lang so zart und weich, daß man sie kan in Stücken schneiden. Wann sie solten eine gute Zeit im Wasser sieden, könte eine gute Gallerte daraus gemachet werden. Sie werden zu Beförderung der Geburt gebraucht.

Die grossen Hirschhörner oder Geweihe werden geraspelt, und die Späne davon zu Ptisanen oder Gerstenträncken, ingleichen zur Gallerte gebraucht, sie werden auch unter allerhand Pulver und Electuaria oder Lattwergen gemischet. Sie sind auch gut zu Stillung des Durchfalls, und der Blutstürtzung, zur Stärckung, und Ersetzung der verlornen Kräfte, widerstehen dem Gift.

[280] In dem Hertzen des Hirschen wird ein Bein gefunden, das heist auf Lateinisch, Os de cor de Cervi, frantzösisch, Os de cœur de Cerf, auf teutsch, ein Hirschcreutz, Hirschhertzcreutz: es ist des halben Fingers lang, und eines Nagels breit, platt und dünne, insgemein dreyeckigt und weiß: es kommt unter allerhand compositiones in der Apothecke. Die kleinern sollen eher erwehlet werden, dann die grossen, indem sie an ihrer statt die Beine aus den Ochsenhertzen zu verkauffen pflegen, welche nur durch die Grösse davon unterschieden werden. Dieses Bein ist in dem Hirsche, so lange als er lebet, nur ein Knorpel, wird aber in gar kurtzer Zeit nach seinem Tode so hart, als wie ein Bein. Es wird für eine gute Hertzstärckung gehalten, widerstehet dem Gifte, und stillet das Blutauswerffen.

Das Bein aus dem Fusse des Hirschen, Talus Cervi, der Hirschsprung genannt, ist gut wider die rothe Ruhr, zu Pulver gestossen, und eines Quintleins schwer eingenommen.

Das Hirschmarck sieht gelblicht und weiß, wird äusserlich wider die Flüsse gebrauchet, desgleichen wider das Lendenwehy zu Brüchen, zu Stärckung der Nerven, zum zertheilen.

Das Hirschunschlitt ist erweichend, den Nerven gut, und auch zertheilend.

Das Hirschblut wird getreuget, und kan alsdann lang aufbehalten werden: es treibet den Schweiß und zertheilet, auch kan man es zum Seitenstechen und zur Gicht gebrauchen. Die dosis ist von einem Scrupel bis auf ein gantzes Quintlein.

Die Hirschruthe getrocknet und zu Pulver gestossen, dienet zu Vermehrung des Samens, und wird von einem halben Scrupel bis auf ein Quintlein eingenommen.

Die Hirschblase ist gut wider den Grind, wann sie drauf geleget wird.

Cervus kommt von κέρας cornu, ein Horn, dieweil der Hirsch gar grosse Hörner hat.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 279-281.
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