74.

Mache dir die Zeit zu Nutze

Nach dem Masse deiner Kraft,

Seele! Uns gehört vom Leben

Nur was der Moment errafft.

Mit dem Leben lässt der Himmel

Sich bezahlen was er gab:

Ford're sorglich stets dem Glücke

Den Tribut der Freuden ab.

Horch dem Rathe der Verliebten:

Tritt zum Freudenthor herein;

Alles Glück der eitlen Erde

Mag der Sorge werth nicht sein.

Schweige von der Lust des Zechers

Vor den Frömmlern; denn man spricht

Mit nicht eingeweihten Ärzten

Von geheimen Leiden nicht.

Pflanz', o Gärtner – ich verbiet es –

Scheide ich dereinst von hier,

Keine andere Cypresse

Als den Freund an's Grabmal mir!

Nimmer weiss der Krugzerbrecher,

Dass der Ssofi eine Art

Von Granatrubinen heimlich

In dem Hause aufbewahrt.

Und du geh'st und deine Wimper

Taucht ins Blut der Menschen sich!

Allzu rasch geh'st du, o Seele,

Du ermüdest, fürchte ich.

Lass, o Zuckermund, die Frommen

Für dich beten bei der Nacht:

Salomons geweihtes Siegel

Schützt ja eines Namens Macht.[211]

Vor dem Pfeile deiner Augen

Hütete mein Herz sich zwar,

Doch der Schütze deiner Brauen

Droht durch Schlauheit ihm Gefahr.

Fort ist mein Geliebter Joseph:

Euer Mitleid fleh' ich an,

Brüder! da ich tief bekümmert

Sah den Greis von Canaan.

Einem Frömmler, der bereuet,

Bringt die Weinlust sichern Tod:

Weiser, unterlass ein Handeln

Das dir mit der Reue droht!

Tritt herein zu meinem Thore,

Dass ich klatsche in die Hand,

Weil durch dich, mein Gast, in Wahrheit,

Sich ein Licht mit mir verband.

Sollst Hafisen, den Zerstreuten,

Sammeln durch ein holdes Wort:

Sind doch deine Lockenringe

Der Zerstreuten Sammelort.

Schönes Bild und Herz von Marmor,

Nimmst du meiner dich nicht an,

Sage ich Ăssāf dem Zweiten,

Was du mir schon angethan.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 3, S. 209-213.
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