11.

Dschem's geheimnissvollen Becher

Kann dein Blick erst dann erreichen,

Wenn du Schenkenstaub als Salbe

Dir in's Auge konntest streichen.

Nimmer mögest du hienieden

Ohne Wein und Sänger bleiben:

Kannst du doch durch ihre Töne

Dir des Herzens Gram vertreiben.

Deiner Wünsche holde Rose

Wird erst dann den Schleier heben,

Wenn du dich, wie Morgenlüfte,

Konntest ihrem Dienst ergeben.

Nach der Liebe schönem Ziele

Magst du rüstig vorwärts schreiten,

Kannst du doch durch diese Reise

Vielen Nutzen dir bereiten.

Komm, denn den Genuss der Ruhe

Und die Ordnung in den Dingen

Kannst durch einsichtsvoller Männer

Segenspende du erringen.

Des geliebten Freundes Schönheit

Deckt kein Vorhang und kein Schleier:

Lass nur erst den Staub sich setzen,

Schauen kannst du ihn dann freier.

Der du nie aus dem Palaste

Deines Ich's herausgegangen!

Kannst du in das Dorf der Wahrheit

Jemals hoffen zu gelangen?

Bettelei an Schenkenthüren

Ist ein wahrer Stein der Weisen;

Staub kannst du in Gold verwandeln,

Machst du solche Bettlerreisen.[325]

Herz, wenn du das Licht der Reinheit

Sorgsam stets in dir getragen,

Kannst du, ähnlich einer Kerze,

Lächelnd deinem Haupt' entsagen;

Doch, so lang' des Liebling's Lippe

Und das Glas die Lust gewähren,

Kannst ein and'res Werk zu üben

Nimmer du die Hoffnung nähren.

Hast du diesem Königsrathe,

O Hafis, dein Ohr geliehen,

Kannst du auf des Tugendordens

Königsstrasse weiter ziehen.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 323-327.
Lizenz:
Kategorien: