111.

Es hat der Wein zum zweiten Mal

Mich meiner Hand entrückt,

Und durch sein Schmeicheln ist der Sieg

Ihm über mich geglückt.

Gezollt sei tausendfacher Dank

Dem rothen Wein dafür,

Dass er das Gelb aus dem Gesicht

Hinweggenommen mir.

Die Hand verehr' ich, die zuerst

Die Traube hat gepflückt,

Und nimmer gleiten soll der Fuss,

Der sie zuerst zerdrückt!

Es schrieb das Wörtchen: »Liebe« mir

Das Schicksal an das Haupt;

Zu streichen was das Schicksal schrieb,

Ist nimmermehr erlaubt.

O prahle doch mit Weisheit nicht,

Denn, rückt der Tod heran,

So stirbt ein Aristoteles

So wie der dümmste Mann.

O Frömmler, geh' und halte mich

Nicht für gering und klein:

Denn, was ein Gott erschaffen hat,

Kann ja gering nicht sein.

Nicht also eingerichtet sei

Dein Lebenswandel hier,

Dass man einst sage wenn du stirbst:

»Er starb gleich einem Thier.«

Berauscht von Einheit aus dem Glas

Des Urvertrag's wird sein,

Wer da getrunken, wie Hafis,

Vom lauter'n, reinen Wein.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 591-593.
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