128.

Wer ist's, der mir die Treue wahrt

Dem Edelsinn zu Liebe,

Ein Bischen Gutes mir erweist,

Wenn ich auch Böses übe;

Bei Harfen- und bei Flötenton

Zuerst den Freund mir kündet

Und dann bei'm Weinpocale sich

In Treue mir verbindet?

Am Holden, der mich tief gekränkt

Und mir das Herz entzogen,

Verzweifl' ich nicht; es wird vielleicht

Sein Herz mir noch gewogen.

Ich sprach: »Den Knoten löste ich

Noch nie von jenen Haaren.«

Er sprach: »Ich liess mit Diebeslist

Sie gegen dich verfahren.«

Der rauhe Mann im woll'nen Kleid

Vernahm noch nichts von Liebe;

Erkläre ihm des Rausches Sinn,

Weil er sonst nüchtern bliebe.

Mir unbekanntem Bettler kann

Ein solcher Freund nicht passen:

Mit Gassenzechern wird ein Fürst

Nicht im Verborg'nen prassen.

Leicht kann mich jenes Ringelhaar

Beleid'gen allerwegen:

An Banden und an Ketten ist

Dem Schelme nichts gelegen.

Gar zahlreich ist des Grames Heer:

An's Glück will ich mich wenden,

Und Fāchrĕddīn Abdūs-Sămēd

Wird Trost im Grame spenden.

Vor Seinem ränkevollen Aug'

Sollst du, Hafis, dich wahren;

Ist jenes Haar doch, schwarz wie Nacht,

In Listen sehr erfahren.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 631-633.
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