166.

Mein Leib ruht keinen Augenblick

Vor übermäss'gem Schmerz;

Durch grenzenlosen Kummer ist

Ganz abgenützt mein Herz.

Wenn aus dem Herzen in den Kopf

Mein Sehnsuchtsrauch sich schwingt,

Geschieht's, dass aus den Augen mir

Der Thau des Grames sinkt.

Auf meine gelbe Wange kann

Nicht schau'n mein Augenpaar:

Aus diesem Grund' bemalt es sie

Mit Herzblut immerdar;

Sieht Jemand, der mir übel will,

Mir dann in's Angesicht,

So zeigt sich meine Wange ihm

Von gelber Farbe nicht.

Die schlimme Zeit, wo immer nur

Sie etwas Böses schaut,

Da streicht sie's in das Auge mir,

Als wär' ich eine Braut;

Und diese Zeit, sie raubte mir

Das was mein eigen war:

Nur Liebe nicht zum Seelenfreund,

Denn sie wankt nimmerdar.

Wie soll mein Auge weinen nicht,

Wie klagen nicht das Herz,

Nicht die Geduld verloren geh'n,

Sich mehren nicht der Schmerz?

Das Loos, als meine Freuden es

Geschaut, da zählt' es sie;

Doch jetzt, wo es mir Gram nur schafft,

Jetzt misst es, ach, sie nie![733]

Da meiner überdrüssig ward

Den ich geliebt als Freund,

Wie sollte meines Leibes denn

Erbarmen sich der Feind?

Und klag' ich nicht, so sagen sie:

»Bedürftig ist er nicht.«

Und klage ich, so sagen sie:

»Geschwätz ist was er spricht.«

Sei desshalb unbesorgt, da Gott,

Der mächtig ist und gross,

Kein Thor versperrt, wenn er zuvor

Ein and'res nicht erschloss.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 731-735.
Lizenz:
Kategorien: