23.

Sklave deines trunk'nen Auges

Ist der Kronenträger Schaar;

Deiner Lippe Wein berauschet

Alle Nüchternen sogar.

Komm am Veilchenbeet vorüber

Gleich dem Morgenwind und schau',

Wie dein Haar durch Übergriffe

Es gehüllt in's Trauerblau.

Dich verrieth der Wind des Morgens,

Mich des Auges Wasserfluth:

Und doch wahren sonst Verliebte

Ihr Geheimniss treu und gut.

Nicht nur ich allein besinge

Jener Wange Rosenzier:

Nahen doch von allen Seiten

Tausende von Sprossern dir.

Unter deinen Doppellocken

Wandelst du und wirst gewahr

So zur Rechten als zur Linken

Eine ruhberaubte Schaar.

Unser sind die Paradiese:

Fort mit dir, du frommer Mann!

Da allein wer sündig lebte,

Gottes Huld verdienen kann.

In die Schenke geh' und färbe

Erg'wan roth dein Angesicht;

Doch, wo schwarze Sünder weilen,

In das Bethaus gehe nicht.

Reiche mir die Hand, o Chiser,

Du Gesegneter, denn ich

Bin zu Fuss, und die Gefährten

Tummeln stolz auf Rossen sich.[361]

Mag aus jener Schimmerlocke

Nimmer sich Hafis befrei'n:

Die in deinen Schlingen weilen,

Frei sind ja nur sie allein.

An dem Wangenbild Hafisens

Lässt gar deutlich sich erseh'n,

Dass zum Erdenstaub geworden

Die am Thor des Freundes steh'n.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 359-363.
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