50.

Wem immerdar vor Augen

Der Flaum des Freundes schwebt,

Des Blitzes höchste Zwecke

Hat sicher er erstrebt;

Auf seines Machtbrief's Züge

Legt' fromm den Kopf ich hin

Dem Rohre gleich: er nehme

Nun mit dem Schwerte ihn.

Zu lieben dich ist Jenem,

Der Kerze gleich, erlaubt,

Dem unter deinem Schwerte

Stets wächst ein neues Haupt.

Zum Kusse deines Fusses

Gelangt nur dessen Hand,

Der an dies Thor den Scheitel

Gelegt als Schwellenrand.

Des Neiders Pfeile hatten

Nach meiner Brust gezielt:

Doch gegen deine Pfeile

Fehlt jeder Brust der Schild.

Mir graut vor trock'ner Tugend!

D'rum bringe reinen Wein:

Denn mein Gehirn befeuchtet

Stets Weingeruch allein.

Mag auch kein Wein dir fommen:

Ist's nicht genug vielleicht,

Dass er den Wahn der Einsicht

Ein Weilchen dir verscheucht?

Wer nie zum Andachtsthore

Den Fuss hinausgesetzt,

Die Schenke zu besuchen

Fühlt er geneigt sich jetzt.

Hafis, gebroch'nen Herzens,

Theilt einer Tulpe Loos

Und trägt das Maal des Busens

Einst in der Erde Schooss.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 429-431.
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