72.

Als deiner Schönheit helle Strahlen

Den Urbeginn der Zeit erhellt,

Entstand die Liebe, die ihr Feuer

Geschleudert auf die ganze Welt.

Der Engel sah dein Antlitz glänzen,

Doch frei von Liebe liess es ihn.

Da wurde sie zum Feuerquelle

Und stürzte auf den Menschen hin;

Entzünden wollte seine Fackel

An jenem Funken der Verstand:

Da nahte Eifersucht mit Blitzen

Und setzte eine Welt in Brand.

Der Widersacher wollte nahen

Dem Schauplatz der geheimen Lust;

Doch eine Hand stösst, ungesehen,

Zurück des Ungeweihten Brust.

Der Schicksalswürfel and'rer Menschen

Fällt immerdar nur auf Genuss;

Mein Herz nur ist's, das gramvertraute,

Dem stets auf Gram er fallen muss.

Nach deines Kinnes Brunnen sehnte

Die Seele sich aus höh'rem Land,

Und jener krausen Locken Ringe

Ergriff zur Rettung ihre Hand.

Es schloss Hafis an jenem Tage

Der Liebe Wonnebrief an dich,

An dem mit seinem Schreiberohre

Er jede Herzenslust durchstrich.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 487-489.
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