74.

Es thun vielleicht, o Herz, sich wieder

Die Thüren aller Schenken auf;

Dann dürfte sich der Knoten lösen

Von meinem wirren Lebenslauf;

Schloss man dem Frömmler sie zu Liebe,

Der sich nur sieht im eitlen Wahn,

So fasse Muth! In Bälde werden

Sie Gott zu Liebe aufgethan.

Zur Herzensfreude jedes Zechers,

Der schon des Morgens Wein geniesst,

Gibt's viele Thüren, die der Schlüssel

Des eifrigen Gebet's erschliesst.

Der Rebe Tochter ist verblichen:

Setzt nun ein Beileidsschreiben auf,

Und Jeder, der da zechet, lasse

Dem Wimpernblute freien Lauf!

Beraubt die Harfe ihres Haares!

Starb doch der Wein, so rein und klar;

Drum löse auch ein jeder Schenke

Das zweigetheilte Lockenhaar!

Der Schenke Thür ward nun geschlossen;

O Gott, lass nimmer es gescheh'n,

Dass eines Hauses Thür sich öffne,

Wo Trug und Falschheit nur besteh'n!

Hafis, du wirst es morgen schauen,

Wie unter deinem Mönchsgewand

Man deinen dort verborgenen Gürtel

Dir lösen wird mit rauher Hand.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 491-493.
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