9.

Das Herz begehrte Jahre lang

Von mir Dschem's Wunderglas:

Es forderte vom fremden Mann

Das was es selbst besass;

Die Perle, die sich immer noch

In ird'scher Muschel fand,

Sucht' es bei Männern, welche sich

Verirrt am Meeresstrand.

Zum alten Wirth trug gestern Nachts

Ich meine Zweifel hin,

Zu ihm, der stets mit scharfem Blick

Gelöst der Räthsel Sinn.

Ich traf ihn lächelnd und vergnügt,

In Händen den Pocal,

Und hundert Dinge schaute er

In jenes Spiegels Strahl.

Ich sprach: »Dies Glas, das Welten zeigt,

Wann gab's der Schöpfer dir?«

Er sprach: »Am Tag, als diesen Dom

Geformt er aus Saphir.«

Er sprach: »Den Freund, durch den erhöht

Das Haupt des Galgens ward,

Beschuldigt man, dass immer er

Geheimes offenbart.«

In jeder Lage weilet Gott

Beim Herzberaubten gern:

Doch dieser schauet nimmer ihn

Und wähnet Gott gar fern.

Dasselbe Gaukelspiel, das hier

Getrieben der Verstand,

Es trieb's Sămīr, der Gaukler, auch

Vor Moses Stab und Hand.[319]

Wenn wieder mit der Hilfe Gunst

Der heil'ge Geist genaht,

So thut ein And'rer ebenfalls

Was einst Messias that.

Ich sprach zu Ihm: »Wozu wohl dient

Der Götzen Kettenhaar?«

Er sprach: »Hafis beklagt sich ja,

Er rase immerdar.«

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 317-321.
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