6.

Aus der Hand droht mir das Herz zu schlüpfen:

Herzensmänner, helft mir Gott zu Lieb',

Denn sonst wird, o Jammer, ruchbar werden,

Was noch immer ein Geheimniss blieb!

Auf die Sandbank ist mein Schiff gestossen:

Günst'ger Wind, beginne denn zu weh'n,

Denn vielleicht wird mir die Freude werden,

Jenen wohlbekannten Freund zu seh'n.

Nur zehn Tage währt die Gunst des Himmels,

Ist ein Mährchen, eine eitle List:

Freund, um Freunden Gutes zu erweisen,

Nütze sorglich die so kurze Frist!

Gestern Nachts, umringt von Wein und Rosen,

Sang der Sprosser gar so schön und wahr:

»Bringe schnell den Morgenwein und halte

Dich bereit, o trunk'ne Zecherschaar!«

Alexander's wunderbarer Spiegel

Ist das Glas, gefüllt mit Wein, und traun!

Was in Dara's Reiche sich begeben,

Kannst du klar und deutlich in ihm schau'n.

Edler Mann! Erkund'ge dich, zum Danke,

Dass des Himmels Segen dich beglückt,

Einmal nur in deinem ganzen Leben

Nach dem Armen, den der Mangel drückt!

Was die Ruhe beider Welten gründet,

Wird durch diese beiden Worte klar:

»Gütig sei mit Freunden dein Benehmen,

Doch die Feinde täusche immerdar!«

Nach dem Dorf des guten Rufes ging ich,

Doch man wies von dannen mich zurück;

Sollte dieser Umstand dir missfallen,

Nun wohlan, so änd're das Geschick![17]

Jenen bitt'ren Saft, den einst der Ssofi

Aller Laster Mutter hat genannt,

Hab' ich stets für lieblicher und süsser

Als der Jungfrau holden Kuss erkannt.

In den Tagen der Bedrängniss strebe

Du nach Lebenslust und Trunkenheit.

Denn durch diese Alchimie des Lebens

Wird der Bettler zum Kărūn geweiht.

Sollst nicht störrig sein, denn sonst verbrennet

Dich im Eifer, einer Kerze gleich,

Der Geliebte, dessen Hand den Kiesel,

Gleich dem Wachse, schmiegsam macht und weich.

Neues Leben spenden uns die Schönen,

Wenn da persisch spricht ihr holder Mund;

Schenke, mache diese frohe Botschaft

Allen alten frommen Priestern kund!

Nein, Hafis zog nicht mit freiem Willen

Diese Kutte an, befleckt mit Wein;

D'rum, o Scheïch mit unbeflecktem Saume,

Lass mir deine Nachsicht angedeih'n!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 15-19.
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