6.

Hoffnung heg' ich auf des Freundes

Nachsichtvolle Huld;

Sündig bin ich, doch ich hoffe,

Er vergibt die Schuld.

Ja, ich weiss es, er verzeihet

Meinem Frevelmuth.

Nicht nur schön wie Peris ist er,

Nein, auch engelgut.

Und ich weinte so, dass Jeder,

Der des Auges Nass

Fliessen sah, verwundert fragte:

»Welcher Strom ist das?«

Meinen Kopf warf ich als Spielball

Hin in deinen Gau:

Aber Gau und Spielball kannte

Wohl kein Mensch genau.

Wortlos ziehet deine Locke

Herzen mit sich fort:

Gegen diese holde Locke

Wagt man ja kein Wort.

Seit dein Lockenduft mich labte

Schwand ein Leben; doch

Im Geruchsinn meines Herzens

Weilt der Wohlduft noch.

Nichts ist jener Mund, und nimmer

Seh' ich seine Spur;

Und ein Haar ist jene Lende;

Wüsst' ich, welches nur?

Wunderbar, dass meinem Auge

Nie dein Bild entschwand,

Das mit Thränen abzuwaschen

Ich doch nie entstand.

O Hafis, dein wirrer Zustand

Ist ein böser zwar:

Gut doch ist Verwirrung, mahnet

An des Freundes Haar.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 63-65.
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