70.

Welche Gnade, dass nun plötzlich

Deines Rohres sanfter Regen

Alle Rechte meiner Dienste

Deiner Huld will unterlegen!

Mit des Schreibrohr's zarter Spitze

Schriebst du Grüsse, die mich ehren;

Möge die Fabrik der Zeiten

Deines Schriftzug's nie entbehren!

Nimmer sag' ich, dass du meiner

Nur gedachtest aus Versehen,

Denn – nach des Verstand's Berechnung –

Kann dein Schreibrohr kein's begehen.

O veracht' mich nicht, zum Danke

Dass der Himmel wohl dir wollte,

Und das ew'ge Glück dir immer

Liebe nur und Ehren zollte.

Komm! Mit deiner Locken Spitze

Lass mich nun ein Bündniss schliessen:

Geht dann auch mein Kopf verloren,

Liegt er doch zu deinen Füssen.

Welche Lage mir geworden,

Wird dein Herz erst dann verstehen,

Wenn auf deiner Opfer Grabe

Blutgefärbte Tulpen stehen.

Nur von deinem Lockenhaare

Spricht der Ost mit allen Rosen:

Doch wann liess der Nebenbuhler

In dein Heiligthum den Losen?

Wolle mit ein Bischen Hefe

Mir den Durst der Seele stillen,

Da für dich in Dschem's Pocale

Chiser's süsse Fluthen quillen.[227]

Immer nur an deiner Pforte

Weilt mein Herz; o halt's in Ehren!

Liess ja doch die Gnade Gottes

Jeden Kummers dich entbehren.

Hinterhalte gibt's; ich warne;

Eile nicht gar so verwegen:

Von des Nichtseins Königsstrasse

Fliegt dir sonst der Staub entgegen.

'Îsagleicher Wind des Morgens,

Froh soll dir die Zeit entschweben!

Denn Hafisens wunde Seele

Rief dein Hauch zu neuem Leben.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 1, S. 225-229.
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