7.

Schlafbefleckt naht' ich der Schenke

Gestern als die Sonne schwand;

Weinbefleckt war schon mein Teppich,

Und durchnässt mein Mönchsgewand.

Doch des Weinverkäufers Knabe

Trat, indem er schalt, heran,

Und dann sprach er: »O erwache,

Schlafbefleckter Wandersmann!

Erst nachdem du dich gewaschen,

Schreite auf die Schenke zu,

Denn die Trümmer dieses Klosters

Könntest sonst beflecken du.

In des Greisenalters Wohnung

Trachte nur nach Reinigkeit,

Und mit Jugendlust beflecke

Nicht des Alters Ehrenkleid!

Wirst nach Lippen süsser Schönen

Du noch fürder lüstern sein,

Und das Kleinod ›Geist‹ beflecken

Mit dem flüss'gen Onyxstein?«

Wer den Weg der Liebe kennet

Tauchte zwar in dieses Meer

Tief hinab, allein es wurde

Nie befleckt vom Wasser er.

Sei stets rein und klar, und steige

Aus dem Brunnen der Natur,

Denn das staubbefleckte Wasser

Es erregt ja Unlust nur.

Und ich sprach: »O Weltenseele!

Keine Schande dürft' es sein,

Wär im Lenz das Buch der Rose

Auch befleckt von meinem Wein.«

Und Er sprach: »Hafis, mit Freunden

Sprich nicht räthselhaft verdeckt!«

Wehe über jene Güte

Die vom Vorwurf wird befleckt!

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 509-511.
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