9.

Als, weinberauscht von vor'ger Nacht,

Bei'm früh'sten Morgenstrahl

Ich nach dem Tamburine griff,

Nach Harfe und Pocal,

Da gab ich dem Verstande Wein

Als Reiseproviant,

Und nach die Stadt der Trunkenheit

Hab' ich ihn abgesandt.

Der schöne Weinverkäufer sah

Mich dann gar freundlich an,

So dass ich, vor des Schicksal's List

Nun sicher, leben kann.

Vom Schenken mit den Bogenbrau'n

Vernahm, was folgt, mein Ohr:

»O du, den sich des Tadels Pfeil

Zum Ziele auserkohr!

Dir schlingt, gleich Gürteln, kein Gewinn

Um jene Mitte sich,

Erblickest in der Mitte du

Nur stets dein eig'nes Ich.

Geh', halte Vögel and'rer Art

In diesem Netze fest:

An gar zu hohe Stellen baut

Sich ein Ăncā sein Nest.

Vertrauter, Schenke, Liedermund,

Dies alles ist nur Er:

Des Wassers und des Thones Bild

Sind Mittel, und nicht mehr.«

So gib mir denn des Weines Schiff:

Ich steu're wohlgemuth

Aus diesem Meer, das uferlos

Vor meinem Blicke ruht![517]

Wem frommt es wohl, wenn er um Gunst

Bei jenem König freit,

Der mit sich selber Liebe spielt

Von aller Ewigkeit?

Hafis, ein dunkles Räthsel ist

Die menschliche Natur,

Und wer es zu ergründen meint,

Berichtet Mährchen nur.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 515-519.
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