2.

Ich schäme mich, dass ich dem Weine

Zur Zeit der Rosen hab' entsagt;

Mög' Niemand sich zu schämen haben

Weil Unrecht er zu thun gewagt!

Als Fallstrick auf der Bahn der Liebe

Erweiset meine Tugend sich,

Drum schäm' ich vor dem holden Schenken

In keinem Anbetrachte mich.

Des Blut's, das gestern Nachts geflossen

Aus meines Auges kleinem Haus,

Muss ich mich vor den Träumen schämen,

Die wandeln durch der Nächte Graus.

Weit schöner als die Sonne bist du.

Und Dank sei Gott gezollt dafür

Dass ich im Angesicht der Sonne

Mich nimmer schämen darf vor dir.

Es wird vielleicht der Freund aus Milde

Nicht fragen ob gesündigt ich:

Denn es betrübte mich die Frage,

Und einer Antwort schämt' ich mich.

Nie wandte ich im ganzen Leben

Von deiner Schwelle mein Gesicht.

Und schäme mich, durch Gottes Gnade.

Vor dieser Schwelle' sicher nicht.

Warum wohl unter deiner Lippe

So gifterfüllt der Becher lacht?

Weil deine Lippe, gleich Rubinen,

Den Rebensaft sich schämen macht.

Wohl hält die trunkene Narcisse

Mit vollem Grund gesenkt das Haupt:

Vor jenem vorwurfsvollen Auge

Ist sich zu schämen ihr erlaubt.[185]

Es hüllet in des Dunkels Schleier

Sich stets nur desshalb Chiser's Quell,

Weil er sich vor Hafisen schämet,

Und diesem Lied, wie Wasser hell.

Es birgt im Schleier einer Muschel

Die Perle desshalb ihr Gesicht,

Weil sie sich vor den Perlen schämet

Die mir erglänzen im Gedicht.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 183-187.
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