15.

Ŏrīon' legt' am frühen Morgen

Sein Wehrgehänge vor mich hin,

Als spräche er: »Ich will's beschwören

Dass ich des Königs Sclave bin.«

O Schenke, komm, weil mir die Hilfe

Des thät'gen Glückes ward gewährt

Zu der Erfüllung eines Wunsches

Den von dem Schöpfer ich begehrt.

Gib mir ein Glas: denn bei der Freude

Des Königs Angesicht zu seh'n,

Fühl' ich die jugendlichen Triebe

Im alten Haupte frisch ersteh'n.

Tritt aus dem Weg' mir und beschreibe

Mir Chiser's Quelle nimmermehr,

Denn aus des Königs Glase labt mich

Ein Schlückchen aus der Fluth Kjěwsēr.

O König! Höb' ich auch zum Himmel

Den Thron der Trefflichkeit empor,

Blieb ich doch Sclav an deiner Schwelle

Und Bettelmann an deinem Thor.

Durch tausend Jahre ward mit Hefe

An deiner Tafel ich betreut;

Verlass' ich, d'ran gewohnt, die Stelle

Die freundlich Trank und Kost mir beut?

Und wenn du nimmer Glauben schenktest

Dem was der Knecht gesprochen hier,

So will ich aus Kjěmāl's Gedichten

Nun den Beweis auch liefern dir:

Sollt' ich dir je mein Herz entreissen

Und meine Liebe dir entzieh'n,

»An wen vergäb' ich diese Liebe,

Und jenes Herz, wo trüg' ich's hin?«[245]

Denn meine Liebe zu dem König

Fing mit dem Urvertrage an,

Und, dem Vertrage treu, durchwand'le

Ich meines Lebens Königsbahn.

Mănssūr Sohn Mōhămmēd's, der Sieger,

Ist mein Beschirmer in Gefahr,

Und durch den Segen dieses Namens

Besiege ich der Feinde Schaar;

Und weil der Himmel selbst gedichtet

Die hohe Plejas auf den Schah,

So dicht' auch ich nun helle Perlen:

Denn, wahrlich, Keinem steh' ich nach.

Da ich, wie Falken, meine Nahrung

Stets aus des Königs Hand empfing,

Muss nicht die Beute einer Taube

Mir schlecht erscheinen und gering?

O König, der du Löwen zähmest!

Was kann es dir für Schaden thun,

Wollt' ich, geschützt von deinem Schatten,

Im Reiche stiller Musse ruh'n?

Mir fehlt der Flügel und der Fittich,

D'rum ist's in Wahrheit sonderbar,

Dass ich nach einem Ort mich sehne

Nur von Sĭmūrgh bewohnt, dem Aar.

Es nahm mein Lied, weil's dich besinget,

Schon hundert Herzensländer ein,

Und meine so beredte Zunge

Scheint nur dein tapf'res Schwert zu sein.

Wenn ich, dem Morgenwinde ähnlich,

Am Rosenhain vorüber zog,

War's weder Fichte noch Zipresse

Die freundlich mich dazu bewog:

Dein süsser Duft war's der mich lockte,

Und, in Erinnerung an dich,

Betheiligten der Wonne Schenken

Mit ein paar vollen Bechern mich.

Das Nass von ein paar Traubenbeeren

Ist's nicht was mich berauschen kann!

Ich bin ein Greis, ich bin ein alter

In Schenken grossgezog'ner Mann;[247]

Und mit den Sternen und dem Himmel

Leb' ich in stetem Zank und Streit,

Und richten soll in diesem Falle

Mich meines Königs Billigkeit.

Gottlob dass wieder auf dem Giebel

Der diese Pforte schmückt, der Ton

Den mein Gefieder weckt, vernommen

Vom Pfaue wird am Himmelsthron.

Es drang, mein Herz sich zu erbeuten,

Der Sohn des Löwen auf mich ein:

Doch, mager oder nicht, ich werde

Des Löwenhelden Wild nur sein;

Und in der Werkstatt der Verliebten

Verwische ganz mein Name sich,

Beschäftig' ich mit ander'n Dingen

Als nur mit deiner Liebe mich.

Du, der du mehr Verliebte zählest

Als diese Welt Atome hält,

Wirst du wohl jemals mich beglücken

Der wen'ger als Atome zählt?

Zeig' mir den Mann der deine Reize

Frech abzuläugnen wär' versucht,

Dass in die Augen ich ihm bohre

Das Messer meiner Eifersucht.

Auf mich herab warf seinen Schatten

Der Herrschaft helles Sonnenlicht,

Und um das Sonnenlicht des Osten

Bekümm're ich mich fürder nicht.

Die Absicht dieser Handlungsweise

Ist nicht mir höher'n Werth zu leih'n:

Denn nicht verkauf ich Liebesblicke,

Noch handl' ich süsse Winke ein.

Es liebt Hafis mit ganzer Seele

Den Gottgesandten und sein Haus:

Darüber stellt mein Herr und Richter

Mir wahrlich selbst ein Zeugniss aus.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 243-249.
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