71.

Wer bin ich denn, dass deine Seele,

Die duftende, mich nicht vergisst?

Du Gnädiger, du, dessen Thürstaub

Die Krone meines Hauptes ist!

Wer lehrte dich dem Diener schmeicheln?

O sag' es, Herzensräuber du!

Ich traue ähnliche Gefühle

Den Nebenbuhlern nimmer zu.

Lass deine Huld, o heil'ger Vogel,

Mich freundlich leiten auf der Bahn!

Lang ist der Weg; ich aber trete

Die allererste Reise an.

O Morgenlüftchen überbringe

Den Ausdruck Ihm der Dienstbarkeit!

Er möge meiner nicht vergessen

In dem Gebet der Morgenzeit.

Des frohen Tag's, an dem ich endlich

Von diesem Orte scheiden kann,

Und mich die Weggefährten fragen

Ob deinem Gaue schon wir nah'n!

O wolle mir die Pfade zeigen

Nach deiner trauten Einsamkeit,

Auf dass ich Wein nur mit dir trinke,

Und nimmer trinke Erdenleid!

Erhaben ist der Dichtkunst Würde,

Und sie besiegt das Erdenrund:

Es fülle d'rum des Meeres Kaiser

Mit hellen Perlen mir den Mund!

Willst du der Liebe Perle fischen,

Hafis, so habe auch den Muth

Das Aug' zum Thränenmeer zu machen,

Und dann zu tauchen in die Fluth.

Quelle:
Diwan des großen lyrischen Dichters Hafis. 3 Bände, Wien 1858, Band 2, S. 387-389.
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