II

[6] Es gelang ihm, die Erzürnte wieder zu versöhnen, denn es war schwer, seiner hinreißenden Freundlichkeit, und seinen liebkosenden Bitten zu widerstehen.

Selten hatte die Natur einen Jüngling so verschwenderisch ausgestattet, als ihn, den bei hellem Geist und warmen, raschem Gefühl die Vorzüge einer bezaubernden Gestalt schmückten.

Sorgsame Leitung über die Untiefen und Klippen der großen Welt hätte gewiß aus ihm einen der trefflichsten Männer gebildet – aber schon in der frühsten Jugend sich selbst überlassen, und mit[6] offnen Sinnen und ungebundner Freiheit den geräuschvollen Zerstreuungen einer der üppigsten Residenzen Deutschlands hingegeben, war – durch die Macht des Beispiels hingerissen – die Reinheit seines Gemüths unter den Lockungen der Verführung und der eigenen Sinnlichkeit längst schon verloren gegangen. Nicht die Aegide der Tugend, sondern nur die Feinheit seines Geschmacks schützte ihn mitten in der Fülle des Leichtsinns und des Uebermuths vor dem Versinken in zügellose Ausschweifungen, die das Bessere im Menschen unwiederbringlich vernichten.

Aus diesem immer verderblicher werdenden Rausch der Sinne, dem er sich mit der ganzen Heftigkeit seines leidenschaftlichen Charakters hingab, würde, wie seine Tante sehr richtig meinte, eine edle Liebe ihn wohlthätig geweckt haben. Aber dies Gefühl war ihm bisher noch fremd im Leben geblieben, deshalb konnte er den heiligen Einfluß desselben nicht anerkennen, ja nicht einmal ahnen. Sich dem gauklenden Schmetterlingsschwarm zuzugesellen, der die blendendsten Koketten der Residenz umflatterte und ihm durch die Ueberlegenheit seiner glänzenden und einschmeichlenden Eigenschaften den Rang abzulaufen, um nach erlangtem Siege sich schnell nach einem neuen Gegenstand seines Verlangens umzusehen, war bisher der Cyklus seiner Beschäftigungen und das stete Ziel seiner Bemühungen[7] gewesen, in dessen Erreichung seine Eitelkeit Befriedigung fand, wenn auch das Herz leer blieb. Ihn erwärmte bei so unwürdigen Unternehmungen nicht jene reine Flamme wahrer Empfindung, die selbst Verirrungen adelt, welche sich auf ihre Innigkeit gründen, sondern es war ein eingeheitztes Feuer, mit dem er sich und andern in thörichter Verblendung weis machte, daß er glühe, während er eigentlich sehr oft nur kalte Geringschätzung fühlte.

So war es sehr natürlich, daß neben der Unschuld seines Herzens auch die gute Meinung unterging, die der Mann durchaus von den Frauen haben muß, wenn er ihnen seine höhere Ausbildung und sein Glück verdanken soll, und er glaubte, gleich den Gefährten seiner Lüste an keine weibliche Tugend mehr, da es ihm immer noch gelungen war, eine jede, die sich ihm dafür ausgab, zu zerstören. Er hatte den Schein in seiner ganzen Nichtigkeit erforscht, und darüber den Glauben an die Wahrheit verloren. So sehr er daher auch der Schönheit huldigte, wo er sie fand, so dünkte ihm doch die Glorie der sittlichen Reinheit mit der er sie sehr oft umgeben fand, nur ein gemeines Irrlicht, auf Sümpfen erzeugt, um zu täuschen und zu locken, und er betrachtete es als eine unumgänglich nothwendige List, sie scheinbar zu ehren, um mit Hülfe dieser Verstellung und einer[8] erheuchelten Achtung sich seine Eroberungen leichter zu machen, und Maske mit Maske zu vergelten.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 6-9.
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