VI

[21] Ein Ball, der Alexandern zu Ehren gegeben werden sollte, eröffnete seiner Eitelkeit die willkommene Aussicht, zu glänzen, da der Tanz zu den Künsten gehörte, die er in der höchsten Vollkommenheit sich angeeignet hatte. Seine schöne Gestalt, sein edler Anstand, seine jugendliche Leichtigkeit und der ihm gleichsam angeborene Tact bildeten ein Gemisch von Anmuth und männlicher Grazie in seinem Wesen, das sich in jeder Bewegung so wie in seiner ganzen Haltung aussprach.

Alles war versammelt – auch Erna fehlte nicht. Doch vergebens suchte sie sein Blick in der munteren Reihe, als er, der Convenienz folgend, den Ball mit der Tochter des Hauses begann. Sie saß neben ihrer Mutter unter den Zuschauerinnen, und folgte mit denkenden, ruhigen Augen dem bunten Gewühl ohne sich in seine Kreise zu mischen. Auch ihre Kleidung war ihm auffallend. Verhüllt von den Sohlen bis zum Kinn in ein dichtes weißes Gewand, hätte es nur noch eines Schleiers über das dunkle Haar und das ernste Gesicht bedurft, um sie in eine Bildsäule der Ists umzuwandeln, zu deren Ehrfurcht gebietender Würde Scherz und Muthwillen sich nicht zu erheben wagten.

Als der erste Tanz geendigt war, nahte er sich ihr, sie zum zweiten aufzufordern. Mit einem[21] ihm freudig scheinenden Erröthen nahm Erna seine Bitte auf, jedoch ohne sie zu gewähren. Sie sagte ihm nämlich, daß sie nie getanzt, und auch nie Unterricht in dieser Kunst gehabt habe, weil die auf dem Lande so seltene Gelegenheit, sie zu erlernen, sich gerade zu einer Epoche getroffen, als ihre Mutter besonders leidend gewesen sei, daher es ihr sowohl an Zeit als an Lust gemangelt habe.

Da nach dieser Erklärung seine Blicke, so wie seine Unterhaltung sie wieder in jene Verlegenheit versetzten, die ihm in ihrer Seele so peinlich war, so brach er ab, und kehrte zum Tanz zurück, dessen Freuden er sich mit der ganzen Lebendigkeit seines Charakters überließ. Von Zeit zu Zeit sagte ihm aber ein Blick, den er auf Erna warf, und dem jedesmal ihr Auge begegnete, das sie dann von dem seinen ergriffen, voll Verwirrung senkte, daß sie, ohne mit ihm zu tanzen, doch nur mit ihm beschäftigt sei.

Er suchte ihr diesen schweigenden Antheil durch manche zarte Aufmerksamkeit zu vergelten, theils, um sich das Wohlwollen seiner Tante zu erhalten, das auf einer freundlichen Hinneigung zu Erna hauptsächlich zu beruhen schien, theils weil es wirklich seiner Eigenliebe schmeichelte, das keimende Interesse zu bemerken, das er, immer zunehmend in dem jungen unerfahrenen Busen erweckte. Die[22] Gesellschaft, welche vielleicht schon vorher von einer vorhabenden Verbindung gehört hatte, die man beabsichtigte, behandelte die Auszeichnung, mit der er ihr begegnete, als den Tribut einer privilegirten Bewerbung, und war bemüht, beiden jene schonenden Rücksichten zu beweisen, durch die man gewöhnlich einem angehenden Brautpaar Gelegenheit giebt, sich einander ungestört zu nähern. Kein Wunder, wenn Erna's argloses, zum erstenmal von der Liebe wie von einem süßen Rausch befangenes Herz anfing, dem Traume des Glücks Realisirung zuzutrauen, in den die offenen Mittheilungen ihrer Mutter, die Anspielungen ihrer ganzen Umgebung, und vor allem Alexanders ehrerbietig inniges Betragen sie wiegte.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 21-23.
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