XXI

[159] So sehr er, hier nicht aus Wohlwollen, sondern lediglich um seines Vortheils willen, sich bemühte, Augusten nach und nach wieder mit sich zu versöhnen, um sie für seine Wünsche zu gewinnen, da eine solche Fürsprecherin ihm die ersprießlichsten Dienste zu leisten im Stande gewesen wäre, so wenig wollte es ihm doch gelingen.

Sie fuhr fort, ihn als einen Menschen zu behandeln, den sie ganz durchschaut, und mit Recht ihr Zutrauen und ihre gute Meinung entzogen hatte. In ihrem Liebling Erna fühlte sie sich damals so empfindlich beleidigt, daß sie ihm weit eher die ihr selbst zugefügte Kränkungen verziehen haben würde, als den Schmerz, dies fromme, reine, schuldlose Opferlamm seines Leichtsinns und seiner Härte so hinwelken zu sehen, daß nur nach und nach Zeit, Vernunft, Religion und die abwechselnden Zerstreuungen weiter Reisen ihr den Becher körperlicher Genesung zu reichen vermochten.

Nun ahnete sie freilich im menschlichen Gemüthe jene tief verborgene göttliche Kraft, welche fähig ist, den Gefallenen wieder aufzurichten, und den Verirrten auf den rechten Weg zurück zu leiten; aber Erkenntnis, Reue und fester Wille, und vor allem Wahr heit des Charakters,[159] schienen ihr die unerläßlichen Erfordernisse, durch die selbst der tief Gesunkene sich wieder zu erheben im Stande sei. Hier aber, ihm gegenüber, der einst ein so grausames Spiel mit dem edelsten Herzen getrieben, konnte sie bei aller Güte ihres selbst so reinen Sinnes sich kein anderes Urtheil abzwingen, als daß er auch jetzt nur auf dem faulen Morast der Lüge das Gebäude seiner sinnlichen Wünsche zu erreichen strebe, und jeder lichte Strahl, der als Zeuge einer geläuterten Gesinnung aus seiner veredelten Seele blitzte, schien ihrem Unglauben an ihn ein täuschendes Irrlicht, auf Sümpfen erzeugt, unfähig mit seinem falschen Schimmer das Leben ihrer Erna zu verklären, sondern nur vom listigen Betrug ausgesandt, ihren frommen Sinn von Neuem zu verlocken.

Sie verhielt sich daher mit unbestechlicher Strenge immer in den abgemessenen Formen kalter Höflichkeit gegen ihn, und versagte gern ihm auch diese, wenn es zuweilen unbeobachtet geschehen konnte. Denn der Ruf seines Leichtsinns und seiner Frivolität, den selbst die verbreiten halfen, die seine vorzüglichen geselligen Eigenschaften an ihm schätzten und seinen Umgang suchten, verglichen mit ihren früheren Erfahrungen, mit seinem eigenen Geständnis, daß er Religion nur als ein Phantom betrachte, das Volk[160] zu schrecken, und daß der Schein ihm die Wirklichkeit jeder Tugend aufwiege, alles dies bei der selbst erprobten Gabe, sich so täuschend zu verstellen, daß sie ihn einst für einen sehr guten Menschen gehalten hatte, flößte ihr neben dem unüberwindlichsten Mistrauen auch den entschiedensten Widerwillen gegen ihn ein.

So gelang es ihm auch nicht, sich mit Linovsky zu befreunden, woran ihm freilich im Ganzen weit weniger lag, da der tiefe Ernst desselben, seine oft schwermüthigen Ansichten und seine Zurückgezogenheit von allen rauschenden Freuden des Lebens ihn eher zurückstießen, als anzogen. Aber da er nicht bezweifeln konnte, daß Auguste ihm eine üble Meinung von ihm beigebracht, so hätte er sich gern den Triumph gewährt, sie durch eine genauere Bekanntschaft zu entkräften und in Wohlwollen umzuwandeln. Als jedoch mehrere Versuche, den Sonderling gegen sich umzustimmen, vergebens blieben, gab er die Idee, sich ihm nähern zu wollen, auf, und begegnete ihm mit derselben wortkargen Gleichgültigkeit, die von Linovsky's Seite das einzige Resultat seiner freundlichen Zuvorkommenheit gewesen war.

Die Bemerkung, daß Erna gerade dann am herzlichsten gegen ihn war, wenn Auguste oder Linovsky, schroff und unzugänglich wie der Felsen[161] im Meer, seine gefällige Annäherung aufnahmen, war ihm ein tröstlicher Beweis, daß sie das ungünstige Vorurtheil gegen ihn nicht mit ihnen theile, ja es misbillige, daß sie es nicht einmal der näheren Untersuchung werth zu halten schienen, um davon zurückzukommen.

Oft ruhte ihr holder ausdrucksvoller Blick bittend auf Augusten, als wolle er sie anflehen, das Zurückstoßende ihres Benehmens gegen ihn zu mildern – oft suchte sie durch ein freundliches Wort, das sie an ihn richtete, den Unmuth in ihm wieder zu verlöschen, den die stets abgezirkelte, fast geringschätzige Förmlichkeit ihrer Freundin nothwendig in ihm erregen mußte. Er fühlte sich reichlich durch dieses leise, aber wohlthuende Bestreben ihrer alles Bittere so gern lindernden Güte entschädigt, und wagte sie für mehr als dies, für das Zeichen eines individuellen, innigeren Antheils zu halten, den er sich immer mehr zu erlangen und zu verdienen bemühte. Um die ihm Abgeneigten bekümmerte er sich bald eben so wenig, als sie sich um ihn.[162]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 159-163.
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