Dreizehntes Kapitel

[137] Er besuchte nun Marien täglich, theils verkleidet, theils in der Dämmerung, die ihn den Blicken der Neugierigen verbarg. Sie verlangte noch zwei Monate Frist, um mit dem Ende ihrer Trauer den Anfang ihres Glücks zu beginnen, und Wodmar, der die Wintervergnügungen leidenschaftlich liebte, bestritt ihre billige Bitte nicht, und überließ sich indessen allen den Freuden, die sich ihm darboten, schon zufrieden, das schöne Ziel ihres Besitzes vor Augen zu haben. O, wenn mein Vater noch lebte, sagte Marie zuweilen, wenn sie süß berauscht von der wonnevollen Aussicht ihrer künftigen Tage in seinen Armen lag, wie würde er sich freuen, seine Tochter der Tugend getreu und glücklich zu sehen! Als er starb und ich vor seinem Bette kniete, seinen letzten Segen zu empfangen, nahm er mit[137] seiner kalten Hand die meinige und ermahnte mich, nie meine guten Grundsätze zu vergessen! Sey noch so arm und verlassen, sagte er, so wirst Du dennoch nicht unglücklich seyn, wenn Dein Gewissen rein ist, und Dein Bewußtseyn Dich an keine Handlung erinnert, vor der Du erröthen mußt. Eine gute Aufführung, eine edle Denkungsart belohnt sich von selbst. Wenn sie auch oft die Welt vergißt und übersieht, so ist der innere Frieden, den sie mitten in Verfolgung und Elend dem Herzen gewährt, reichlicher Ersatz für die Entsagungen, die sie fordert. Denn glaube mir, es kommt eine Stunde, wo uns alles, was uns im Leben schön und glänzend schien, schal und unschmackhaft, mit verblichenen Farben vorkömmt, wo wir jeden kleinen Fehltritt schmerzlich bereuen, jede übereilte That ungeschehen wünschen, weil das sterbende Auge wie durch ein Vergrößerungsglas seine begangnen Fehler sieht, und der Glaube an Vergeltung Dornen auf das Krankenlager streut! O, wohl mir, daß ich meine Schuldigkeit that, so viel mir's möglich war, daß ich mich bemühte, gut zu seyn, und den Keim der Tugend in Dir nicht zu ersticken, sondern zu bilden! Ehre mein Andenken, indem Du meinen Lehren getreu bleibst, Dein Ohr dem Sirenengesang[138] des Lasters, Dein Auge den Lockungen der Verführung entziehst, und nur guten, frommen Empfindungen Raum in Deiner Seele giebst! –

Der gute Vater! fuhr Marie mit sanften Thränen fort, wie ruhig starb er nicht, als ich ihm alles dies versprach! – Und ehe der Tod noch sein Auge schloß, fragte er mich mit brechendem Blick und Ton: Was wird aus Ludwig? – Ich konnte nur mit Seufzern und Thränen antworten. Er verstand mein Schweigen, drückte mir die Hand und sagte mit einer Güte, an die ich nie denken werde, ohne vor dankbarem Schmerz außer mir zu seyn: Ich will Dich nicht überreden, meine Tochter! ich will Dir nicht einmal meine Wünsche sagen, aus Furcht, Du möchtest sie als die letzten, die ich thue, auf Kosten Deiner Neigung erfüllen. Aber prüfe Dich wohl, wenn Du einst eine Wahl triffst, ob sie auch verdient, daß Du ihr Ludwig opferst. – Hier wurde sein Auge immer dunkler und starrer, nur dann und wann flackerte es wild auf, und wurde dann wieder ruhig, ehe eine ewige Nacht es bedeckte. – Ach, da vergingen mir die Sinne, und ich fiel hin auf die geliebte Leiche, und wünschte mich an ihre Stelle. –[139]

Wodmar fühlte sich von dieser einfachen Erzählung heftig ergriffen, ein leiser Schauer durchflog wie Fieberfrost alle seine Glieder, aber er versteckte unter dem Anschein einer Rührung, die ihm Marien noch werther machte, seine wahren Empfindungen.

Das war der Tod eines braven Mannes, sagte Frau Köhler, und war doch nicht ganz frei von Unruh und Angst; – wie muß nicht der Bösewicht sterben, dessen Leben nichts als eine Reihe vorsetzlicher, muthwilliger Sünden war? Ach in der Todesstunde schweigt der Lärm der Fröhlichkeit, mit dem er sein Gewissen in gesunden Tagen zu übertauben pflegte, und alle seine Laster treten nackt und schwarz um sein Sterbelager, und haben die bunten Farbenkleider von sich geworfen, in denen er ehedem gewohnt war sie zu erblicken. Wenn sich nun dem Gottesläugner, dem Betrüger, dem Verführer, – und oft findet man alles in einer Person, – wenn sich ihm nun die dunkle Aussicht in das Land, woher keiner wiedergekommen ist, uns zu sagen, wie es dort aussieht, mit allen Schrecknissen des Todes öffnet, und der Gedanke an die Vergeltung, die uns dort verheißen ist, füllt seine Seele mit Verzweiflung[140] und durchfährt sein Innres wie tausend Dolche, – o wie gern gäbe er die Wollust ganzer Jahre, in der er schwelgte, für einen einzigen Tropfen Linderung, den eine gute Handlung seiner namenlosen Angst böte! – Wie wird nicht jeder seiner Seufzer ein Fluch der Vergangenheit, jede Erinnerung ein Anspruch, den die Verdammniß auf ihn macht! – –

O, hören Sie auf, rief der Graf, indem er bebend von seinem Stuhle sprang, und sich dann in lebhafter Bewegung wieder neben Marien warf, und sein Gesicht, in dem Fieberhitze mit Todesblässe wechselte, an dem ihrigen verbarg, hören Sie auf mit Ihren schrecklichen Bildern, und lassen Sie uns lieber die Armen schweigend bedauern, deren Leben sich so fürchterlich endigt. – Marie umschlang ihn mit einem ernsten Gefühl von Wohl und Wehe. Laß uns gut seyn, mein Karl! sagte sie, und dann wird unsre letzte Stunde ruhig wie die vergangenen, nur ein wenig feierlicher vorüberziehn! –

Wodmar hatte kein Bleibens mehr. Mit Wermuthsbitterkeit war in ihm die Stimme des Gewissens er wacht, die er durch die anmuthigen[141] Hoffnungen einer rosenfarbnen Zukunft in Schlummer gewiegt hatte. Er eilte nach Hause. Das Verbrechen, das er begehn wollte, die einsamen Qualen des Sterbebetts eines Verführers und die Ahndung einer Strafe nach dem Tode standen mit allen ihren Schrecken vor seiner feurigen Fantasie, und er wollte ihnen ausweichen, indem er Marien entsagte. –

Aber Marien entsagen, – – Marien, die ihm mit jedem Tage reizender schien, die mit der ganzen Wärme der ersten Liebe sich an ihn anschloß, – Marien, die sich von ihm die Erfüllung ihrer Träume versprach, die ohne ihn unglücklicher gewesen wäre, als es vielleicht selbst nach der Entdeckung seines Betrugs möglich war, – – und dies alles in der Blüthe seiner Kräfte und Jahre, bey diesem heißen Verlangen sie zu besitzen, bloß weil die gereizte Einbildungskraft einer frömmelnden Matrone ihm eine Hölle vorspiegelte, die, wenn er sie auch wirklich glaubte, doch noch weit, weit von ihm entfernt war! – Und konnte er sich nicht dann noch bekehren, wenn ihn die Abnahme seiner Gesundheit und die Annäherung des Alters erinnern würde, daß es Zeit sey? – – So raisonnirte er sich selber seine[142] Unruh hinweg, und die Zerstreuungen thaten das ihrige.

Niemand war glücklicher als Marie; ihr jetziges Leben glich einem ungetrübten Fluß, auf den der Himmel sein Bild prägte, und der nur Sonnenschein und Klarheit in seinen Spiegel aufnahm. Auf rosenfarbnen Flügeln eilte der Winter vorüber, sie legte die Trauerkleider ab, zwar noch mit einer Thräne dankbarer Rückerinnerung an den Verstorbenen, die aber der Vorbote von süßern war. Es war gegen Ende des Märzes, als der Graf, da er sie zum erstenmal wieder in bunten Farben erblickte, sie an ihr Versprechen erinnerte, sein zu seyn. Marie erröthete sanft und Wodmar küßte von ihren Lippen das Geständniß ihrer Einwilligung.

Man machte Anstalten zur Abreise. Marie hatte eine ansehnliche Summe Geld aus dem Verkauf ihres Hauses und ihrer liegenden Gründe erhalten, die sie mit sich nahm. Eine andere legte sie nieder für Ludwig, nebst einem Brief, in dem sie ihm ihr künftiges Schicksal trotz dem Verbot des Grafen entdeckte. Sie glaubte ihm, sich, und selbst der Asche ihres Vaters diese Aufrichtigkeit schuldig zu seyn, und kannte Ludwigs sichern Charakter[143] zu gut, als daß sie hätte nachtheilige Folgen von ihrem Zutrauen befürchten können.

Ich habe mich selbst betrogen, Ludwig! schrieb sie ihm, nicht ohne Kummer, weil sie voraussah, wie sehr ihn dieser Brief betrüben würde. Ich glaubte Dich zu lieben, aber es war nur Freundschaft, was ich für Dich empfand, und sie gnügte meinem Herzen, als es noch unbefangen war und die Liebe noch nicht kannte. Aber jetzt, da ich den Mann habe kennen lernen, den ich allein mit Leidenschaft zu lieben vermag unter allen, jetzt nimm meinen innigsten Dank für das Vertrauen, mit dem Du von mir das Glück Deines Lebens hofftest, und die Bitte um Verzeihung, daß ich es niemals Dir gewähren kann. Ein heiliges, unauflösliches Band vereinigt mich in wenig Tagen mit dem Grafen von Wodmar, und es wird meinem künftigen Glück nichts fehlen, wenn ich Dich ruhig und zufrieden weiß, – und dies wirst Du gewiß bald seyn, wenn es Dir auch jetzt weh thut, mich verloren zu haben. Denn die liebenswürdigen Eigenschaften Deines Herzens werden Dir bald eine Freundin erwerben, die Dich mehr verdient, als Marie, die, wenn sie Dir auch Wort gehalten, Dir doch nur ein getheiltes Herz hätte[144] geben können, das Deiner unwerth gewesen wäre, da Du ein ganzes verdienst. Nicht der Glanz, der mit dem Stande meines künftigen Mannes verknüpft ist, hat mich verblendet, sondern Liebe zu ihm selbst, die sich unwiderstehlich meines Wesens bemächtigte. Denn erst nach Jahren, wenn die Hindernisse nicht mehr sind, die jetzt die Konvenienz unsrer Verbindung entgegen stellen würde, erst dann werd' ich öffentlich diesen Glanz, der mir gleichgültig ist, mit ihm theilen und laut den Namen führen, der mich bis dahin in der Stille beglückt. – Dir, mein Freund, theile ich im vollen Vertrauen auf Deinen Edelmuth und Deine Verschwiegenheit dieses mein heiligstes Geheimniß mit, um Dir mein schnelles Verschwinden zu erklären. Nimm diese Summe als ein Andenken an mich und meinen gütigen Vater, der sie für uns beide sammelte, und wenn wir uns einst nach langer Zeit wiedersehn, so laß mich in Dir den treuen Freund wiederfinden, der Du mir warst, so lange ich denken kann.

Als Marie diesen Brief geschlossen hatte, dünkte es ihr, als hätte sie sich nun von allem losgerissen, was sie bisher noch abhielt, ganz ihrem geliebten Grafen zu leben. Noch einmal[145] ging sie auf den Kirchhof, um Abschied von dem Grabe ihres Vaters zu nehmen. – Die ersten Veilchen, die es gab, hatte sie sich bringen lassen, und als ein Todtenopfer auf den braunen Hügel gestreut, der die theuern Ueberreste verbarg. Noch einmal sagte sie in stummen Gebeten für den Frieden seiner Seele, ihm Dank für alle seine väterliche Sorge: – – es wurde ihr so wohl und doch so weh, daß sie ihren gedrängten Gefühlen keinen Namen geben konnte. Wie eine dunkle Gewitterwolke zog eine bange Ahndung an ihr vorüber, aber der Sonnenstrahl der Liebe leuchtete drein und verminderte ihre Schwermuth.[146]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Marie Müller. Schleswig 21814, S. 137-147.
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