6. Scene.

[40] Vorige. Engel. Blinte. Reinhard. Frau Hüfer, die alte Steimann, von Bauern und Bürgern gefolgt, stürzen aufgeregt herein.


ENGEL. Verrath! Verrath! Ueberfall!

BAUERN. Wir sind verloren!

MÜNZER. Seid ihr toll, was giebt's?

BLINTE. Verrath! Verrath! Die Knechte des Landgrafen von Hessen stürmen gegen die Stadt –

ENGEL. Der Feind ist im Anzug, wir sind verloren, die Wachen fliehen –

BAUERN. Sie sind übermächtig – wir sind verloren –

WEIBER. Weh' uns – sie werden die Stadt verbrennen – weh' uns, sie tödten uns – sie kennen kein Erbarmen – Auf Münzer zustürzend. Rette uns, rette uns –

ENGEL. Jetzt zeig', ob du wirklich vom Himmel zu unserer Befreiung gesandt bist – Ferne Hornsignale.

BAUERN schreien auf. Das sind sie, das sind sie!

PFEIFER. Sie müssen schon seit mehreren Tagen unterwegs sein – du hast heimlich Boten über Boten empfangen – sprich, hast du darum gewußt –

SANDER hereinstürzend. Sie sind am Thore, die Wachen fliehen –

BAUERN. Er hat darum gewußt, wir sind verrathen –

WEIBER. Wir sind verkauft – ermordet den Verräther –

BLINTE. Diesmal hat der Meister die Apostel verrathen! Heimlich zu den anderen. Stürzt euch auf ihn; müssen wir untergehen, so soll er wenigstens vor uns sterben –[41]

PFEIFER tritt zu ihm. Ob du darum gewußt hast, will ich wissen – sprich – diese Alle, die dein Wort verführt hat, verlangen Antwort –

BLINTE. Preßt ihm die Antwort mit dem Schwert aus der Kehle –

WEIBER. Reißt ihn in Stücke!

MÜNZER ist an's Fenster getreten und blickt gespannt und unbeweglich hinaus, ohne sich um den Lärm zu bekümmern.

ENGEL. Er sieht uns nicht einmal an – er verhöhnt uns – aber er soll sich seines Verraths nicht erfreuen – den Lohn soll er nicht genießen – und die gräfliche Dirne da – seine Dirne –

BAUERN dringen auf Münzer ein. Hast du uns verrathen? Sprich oder stirb! – Nieder mit der Dirne! Einer faßt Gerlind am Arme.

MÜNZER packt ihn und wirft ihn zu Boden. Elender Bube!


Laute Kanonenschüsse unmittelbar hinter der Scene.


ALLE stehen erstarrt. Was ist das?

MÜNZER. Ha, endlich! – Das sind meine Geschütze, die ich habe gießen lassen, im Barfüßerkloster, wenn ich tagelang dort verweilte, geheimnißvoll, damit eure Dummheit nicht meine Pläne durchkreuzte – und nächtliche Boten brachten mir heimlich das Pulver, das ich in Süddeutschland gekauft hatte – ich, der Verräther.

RODER hereinstürmend. Triumph! Triumph! Sie fliehen in größter Verwirrung – das haben sie nicht erwartet, daß wir Geschütze besäßen. – Sieg, Sieg, – nun lasset Victoria schießen. –

BAUERN. Gerettet – gerettet –

MÜNZER. Ja – und da – und da – Reißt sein Gewand auf und wirft Papiere und Briefe unter die Menge, um welche diese sich schlägt. Lest, lest, Gesindel!

BAUERN. Gerettet, befreit!

BLINTE für sich. Wie schade, wie jammerschade![42]

ENGEL liest. Bündniß mit den schwäbischen Bauern –

THOMÄ liest. Unterstützung durch Friedrich den Weisen –

RODER liest. Hilfe vom Elsaß aus –

PFEIFER liest. Auch am Mittelrhein schlagen sie los –

MÜNZER. In jedem Gau Deutschlands erheben sich die Bauern, um gemeinsam das alte Joch abzuschütteln, gemeinsam für Freiheit und Brot zu kämpfen, zu Millionen stehen sie auf, ein gekröntes Haupt tritt an unsere Spitze und steht uns bei – gleichzeitig entbrennt der Kampf auf allen Punkten – gleichzeitig auch in Frankreich und Italien – wer will da widerstehen? Wie ein Sturm geht es reinigend und erlösend über die ganze Erde, nicht mehr wie früher in kleinen, vergänglichen Windstößen – Das waren die andern Boten, die ich heimlich des Nachts empfing, mit denen ich mich einschloß. Nicht wahr, ich habe euch gründlich verrathen? –


Pause. Alle stehen beschämt.


ENGEL. Meister, großer Meister, vergieb uns nur noch dies eine Mal, nur dies eine Mal noch, wir wollen nie wieder an dir zweifeln, wir schwören es dir –

BAUERN werfen sich vor ihm nieder. Vergieb uns nur noch einmal – wir wollen dir vertrauen.

MÜNZER. Nicht als ob ihr es verdientet, zweifelndes, klägliches Geschlecht –

ENGEL. Ja, wir sind erbärmlich, aber verzeihe uns doch –

PFEIFER. Bin ich alter, ungestümer Bock werth, dir die Füße zu küssen?

MÜNZER. Mäßige deinen Jähzorn ein wenig, Heinrich, kühle dein jähes Blut, und ich will dich mit Stolz meinen Bruder nennen.

FRAU HÜFER. Er ist der neue Moses, er wird[43] uns in das gelobte Land der Freiheit und Gerechtigkeit führen, wo auch für die Armen und Enterbten Milch und Honig fließt – Sie drängen sich um ihn und küssen seine Hände, sein Gewand, er wehrt ab.

DIE ALTE STEIMANN. Bekränzt ihn mit Lorbeer, er soll die Zeichen seiner Würde tragen! Sie bringen Blumenkränze und ein Diadem und schmücken ihn damit.

MÜNZER. Laßt, laßt das Diadem! Sie drücken es ihm auf's Haupt.

GERLIND. Nimm es an! Für sich. Er soll es tragen, er muß es tragen!

BLINTE bei Seite. Und doch kommt auch noch mein Tag – dann warte.

PFEIFER. Und hier schwören wir, dir von nun an zu folgen wie die Heerde dem Hirten, wie die Planeten dem Monde, wie dem Wotan die wilde Jagd, wohin es sei, wohin du uns führst, über Berge, durch Wüsten und Meere, ohne zu murren, ohne zu fragen. Nichts wollen wir sein als eine gewaltige Masse, von deinem Hauch beseelt, von deinem Geist regiert, und Gehorsam sei fortan unsere höchste Tugend und Vertrauen auf dich unser ganzes Denken. Brüder, wer denkt wie ich, der hebe die Hand und rufe: das schwören wir.

ALLE. Wir schwören.

BLINTE für sich. Um es knurrend zu brechen, sowie der Thierbändiger den Rücken gewandt.

GERLIND für sich. Jetzt ist er ihr Herr – und mein ist das Feld!

MÜNZER. Und ich schwöre euch –

GERLIND. Münzer – Für sich. Was will er thun –

HANS eilig hervortretend. Brüder, eine Trauerbotschaft! Friedrich von Sachsen ist gestorben.

BAUERN. Der Weise ... todt ....[44]

ENGEL. Der einzige deutsche Fürst, der es redlich meinte mit seinem Volke.

SANDER. Der ein Herz hatte für die Bauern.

ENGEL. Der damit umging unsere Pläne und Forderungen zu verwirklichen –

RODER. Der werth war, deutscher Kaiser zu sein. Nun haben wir nicht einen Bundesgenossen mehr.

GERLIND für sich. Friedrich der Weise todt, der Bauernkönig? Ich weiß, welch' andern Fürsten ich ihnen geben werde. Nun muß er – er wolle oder nicht.

MÜNZER zu Hans. Wie konntest du so ungestüm mit der Nachricht hereinplatzen? Laut. Brüder, das Schicksal meint es gut mit uns, es will, daß wir unser Glück keinem verdanken sollen, denn uns selbst. Friedrich war ein Freund des armen Mannes, aber nicht er war der Mann an eure Spitze zu treten und euch zum Siege zu führen, denn tausend Rücksichten hemmten ihn – ich werde es. Und so ihr die Treue haltet, die ihr mir gelobt habt, will ich dieses Schwert Entblößt es. nicht eher wieder in die Scheide stecken, als bis ihr alle frei und zufrieden seid und keiner den Nachbarn um das Brot beneiden darf, das sich jener in Würfel schneidet. Und mein Ehrgeiz soll sein, mein Volk erlöst zu haben aus der Knechtschaft von zehn Jahrhunderten und mich doch nicht zu erheben über den Geringsten von euresgleichen. Das schwöre –

GERLIND ist dicht an ihn herangetreten, leise. Schwöre nicht, das schwöre nicht, du wirst es bereuen.

MÜNZER. Wer tritt zwischen mich und meine Brüder? Ich schwöre es euch im Namen des lebendigen Gottes.

GERLIND für sich. Der Schwärmer!

ALLE. Amen!

THOMÄ der vorher abgegangen, eintretend. Meister, darf ich reden?[45]

MÜNZER. Sind wir nicht alle Ringe eines Stammes? Was hast du? Sprich!

THOMÄ. Meister, eine üble Botschaft. Der Luther ist im Land. Vor zwei Wochen hat er sich auf die Kunde vom Aufstand aufgemacht gen Thüringen, zu predigen gegen uns. Fürsten, Edelleute, Bürger wühlt und regt er auf wider uns, und machtgewaltig ertönt seine eherne Stimme und weckt argen Nachhall. Brüder, des Landgrafen Truppen mögen wir besiegen, da steht Mann gegen Mann – aber was vermögen wir gegen das Wort des Einen Gewaltigen, das stets neue Geschwader gegen uns aufregen wird?

MÜNZER. Wo ist der Luther im Augenblick?

THOMÄ. Er war in Jena, Weimar, Erfurt, Gotha – morgen ist er in Nordhausen –

MÜNZER. Seid ruhig, Brüder. Ich weiß, warum er auszog. Nicht ihr seid's, die er bekämpft – ich bin es. Den Löwen niederzuzwingen, giebt es nur ein Mittel: ihm kühn entgegenzutreten und fest in's Auge zu blicken. Ich thu's! Er hat sich gerühmt, mit dem Teufel gerungen und ihn zu Boden geworfen zu haben. Wohl, ich glaub's: doch ich will mehr thun, ich will mit dem ringen, dem der Teufel weichen mußte. Heinrich, sieh' hier an meiner Statt zum rechten – in dreien Tagen bin ich zurück – ich geh' in die Höhle des Löwen, nach Nordhausen zum Luther! Wendet sich zum Abgehen.

ALLE in großer Bewegung. Zum Luther, zum Luther!

PFEIFER. Meinen Kopf zum Pfande, er siegt ihm ob – denn er kann Alles, was er will.


Vorhang fällt.


Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888, S. 40-46.
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