Verehrter Gönner!

Da Ihr Name wie Ihr Wohnsitz heute noch »meinem Ohr so fremd wie meinem Herzen« ist, so wird auch die boshafteste Mißgunst nichts Uebles darin sehen können, daß ich dieses Stück Ihnen zueigne. Obwohl »Brot« hier zum ersten Male vor die Oeffentlichkeit tritt, hat es doch schon eine kleine Geschichte hinter sich. Vor Jahresfrist geschrieben hatte es das Glück in der Handschrift von einem unternehmungslustigen und kunstverständigen Bühnenleiter zur Aufführung angenommen zu werden. Ja, Berlin hatte damals eine Bühne, die sich mit Eifer der neueren Erscheinungen auf dem Felde der ernsten dramatischen Kunst annahm, die mehr sein wollte als eine Ablagerungsstätte für den Schutt alberner Possenfabrikanten und Literaturwaarenhändler von der Art der Moser, Lubliner, Blumenthal – eine Bühne, auf der wir die neuen Schöpfungen Wildenbruchs, Vossens, Nissens, Ibsens, Zolas, die kein anderes Theater den Muth hatte aufzuführen, in leidlicher Darstellung verkörpert sahen: das Ostendtheater. Natürlich erlitt[7] jener Mann, der den abgeschmackten Einfall hatte das Theater als Kunststätte zu betrachten, das wohlverdiente Schicksal: die Presse behandelte ihn mit jenem mitleidigen Wohlwollen, das tödtlicher wirkt als die erbittertsten Angriffe, sie bedauerte das vor den Thoren Berlins liegende Theater zu Grunde, und nach Jahresfrist hielten aus derselben Stätte wieder die kaum verjagten Geister des Blödsinns ihren Einzug unter jubelndem Aufklappen der Bierseidel und Stullenteller. Mit »Brot!« war es nichts.

Damit es nun in der Zwischenzeit, bis sich wieder ein ähnlicher Thor von Bühnenleiter zu seiner Annahme bereit findet, nicht altbacken werde,1 übergebe ich es hiermit der Oeffentlichkeit, nachdem die ersten dramaturgischen Autoritäten Deutschlands, denen es vorgelegen, ihm das allerfreundlichste Geleit mit auf den Weg gegeben.

Werden Sie, unbekannter Gönner, dem ich dies Werk widme, jemals aus dem Reiche meiner Einbildungskraft in das der Wirklichkeit emporsteigen?

Wie es heutzutage mit dem Theater in Deutschland[8] steht, haben Sie in meiner Schrift »Ohne Schminke!« ohne Zweifel des Näheren gelesen. Alles wirkt bei demselben zusammen das wahrhaft Gute und Ernste nicht aufkommen zu lassen: die Gleichgiltigkeit des Staates, die Rücksichtslosigkeit der Censur, der Bildungsmangel der Bühnenleiter, die Unfähigkeit der Schriftsteller, die Dummheit des Publicums, die Corruption der Presse; und wenn es einmal einem echten und großen Talente gelingt diese alle zu besiegen und sich zum Erfolg emporzuarbeiten, so hat es dies aus schließlich dem Zufall, dem Glück zu verdanken. Ich schweige von Richard Wagner, den ohne seinen königlichen Freund sein Volk in Verbannung und Elend hätte sterben lassen. Nur der Zufall führte dem von aller Welt verhöhnten Wildenbruch einen Mann in den Weg, der die Laune hatte seine »Karolinger« in Berlin aufzuführen, nur sein inniger Anschluß an die Clique der Studenten konnte seinen Erfolgen die verdiente Dauer verschaffen. Und wie viele Wagner und Wildenbruch mögen ohne das Glück solcher Zufälle alljährlich hinter dem Zaune sterben? Ich will hier gar nicht von Albert Lindner reden, dessen Schicksal der Culturhistoriker des zwanzigsten Jahrhunderts einen unauslöschlichen Schandfleck jenes Volkes der Dichter und Denker nennen wird, das mit zehnmal größerem Recht das Volk der Biertrinker und Scatspieler heißen sollte – der flüchtigste Blick auf unsern Büchermarkt lehrt, daß es an ernsthaften, der Theilnahme würdigen Bestrebungen auf dramatischem Gebiete nicht fehlt. Aber ohne jede Pflege, fortwährend[9] durch Fußtritte und -stöße verletzt, geht der Keim auch des edelsten Weinstocks zu Grunde. Welches civilisirte Volk tritt der Fortentwickelung seiner Kunst so barbarisch entgegen wie das deutsche? Für eine alte halb zerstörte Schmiererei, vom Alter so gebräunt, daß kein Zug mehr deutlich zu erkennen, für eine klobige Steinkiste, in der ein alter Pharao von den Würmern angenagt worden, wirft man Hunderttausende zum Fenster hinaus – was thut man für die Lebenden, die gezwungen sind sich vom eignen Hirnschmalz zu nähren? Nichts! Wahrhaftig, Lippert hat Recht: die Todten sind zu allen Zeiten die Feinde der Lebenden und nehmen ihnen das Brot. »Aber wir haben ja einen Schillerpreis!« – Ihr weisen Herren, ihr gekrönten Häupter und Kronräthe, die ihr so gern eurer Förderung der dramatischen Kunst Ausdruck geben wollt – was nützt denn der Preis für ein mit Erfolg aufgeführtes ernstes Stück, wenn die guten und bühnenfähigen Stücke ernster Gattung eben auf unsern Bühnen gar nicht zur Aufführung zugelassen werden? Wenn in den Hoftheatern der Backfisch, das blondzöpfige Töchterchen des Majors oder Regierungsraths allein die entscheidende Stimme hat und die Hoftheater nur für die blöden Machwerke adliger Dilettanten und die kindischen Faseleien berüchtigter Schwankschmierer offen stehen, alle ernsten, gediegenen Schöpfungen der zeitgenössischen nationalen Dichtung aber mit ängstlicher Sorgfalt geflissentlich fern gehalten werden? Wer hat denn die natürliche Verpflichtung die ernste Gattung zu unterstützen wenn[10] nicht eine subventionirte Bühne? Von den Privattheatern ist solcher Idealismus nicht zu verlangen – das sind einfach gewerbliche Unternehmungen, und man kann keinem Kaufmanne verbieten mit alten Hosen oder Pariser Gummiartikeln zu handeln, wenn er seine Nahrung dabei findet. Eine klägliche Posse, ein leeres Blendwerk sind alle Schiller- und sonstigen Preise; aufgeführt wollen wir werden, vor das Urtheil der Oeffentlichkeit gestellt, nicht preisgekrönt! Man halte nicht mehr von den Hoftheatern ängstlich fern, was nur auf drei Schritte nach Poesie, nach echter dramatischer Kraft duftet, man verpflichte sie, alle bühnenfähigen Hervorbringungen der zeitgenössischen nationalen Dramatik aufzuführen, die nicht den Gesetzen des Landes, der Religion und der guten Sitte widersprechen: das heißt man wandle die Hofbühnen in Nationaltheater um, und man wird nicht mehr nothwendig haben, den Schillerpreis Dreijahr um Dreijahr unvertheilt zu lassen und dadurch die zeitgenössische Dichtung in den Augen der ganzen Welt auf das Ungerechtfertigteste bloszustellen und zu blamiren. – –

So hoch ich unter den zeitgenössischen Dramatikern auch Männer schätze, wie Wildenbruch, Herrig, Bulthaupt, Fitger, so viel Bewunderung mir ihr zielbewußtes Schaffen abnöthigt, so habe ich doch vorgezogen, in meinem Schauspiel »Brot!« das Betreten eines anderen Weges zu versuchen und mich einer dramatischen Gattung zuzuwenden, deren Vorbilder ich in Gutzkow's »Uriel Acosta« und Laube's »Karlsschülern«[11] erblicke, dem historisch-socialen Drama. Die Kunst, so lautet der erste, heute allgemein anerkannte Grundsatz des Realismus, soll das Streben, die Anschauungen, die Kämpfe ihrer Zeit verkörpern. Aber dies ist nur im Hinblick auf die Ideen, die Anschauungsweise des Dichters gesagt, keinesfalls soll dies ihn in der Wahl der Stoffe beschränken, keinesfalls ihn nöthigen auf das ungeheure und dankbare Gebiet der Geschichte zu verzichten. Nur soll mit den heiligen Thaten und Leiden der Vorzeit kein frivoler Spott, kein leerer Mummenschanz nach Art der Ebers oder Wolff getrieben werden, und das Geschichtliche soll ebensowenig als bloße Maske dienen wie sich in leeren, zwecklosen, alterthümelnden Krimskrams auflösen. Da uns vielmehr die Zeiten der Vergangenheit, der Geist der Zeiten trotz Ranke stets ein Buch mit sieben Siegeln bleiben werden und die Kunst nicht dazu da ist, gelehrte Excurse oder Hypothesen zu versinnlichen, so hat sie bei historischen Stoffen vor Allem die Aufgabe nach den Gesetzen der poetischen Gattungen darzustellen, wie dieselben Ideen, welche die Zeit des Künstlers bewegen, sich im Handeln und Leiden der Menschen früherer Jahrhunderte ausgeprägt haben. Einer der Hauptmotoren unserer Zeit ist die sociale Frage, sie durchdringt unser ganzes Leben bis in die innersten Theile. Aber sie ist so alt wie die Welt, denn die Leidenschaften der Menschen, die natürlichen Gesetze des Culturlebens sind ewig, und nur ihre Erscheinungsformen wechseln, die Ordnungen der Gesellschaft, die Culturbilder. Der Dichter soll die[12] Windrichtungen seiner Zeit erforschen und zeigen, wie die Wellen sich gestalteten, die sie in früheren Jahrhunderten warfen, er soll das Zeitgeschichtliche im Spiegel des Historischen geben. Keine Zeit war der unsrigen so ähnlich in Bezug auf die Stärke, Bedeutung und Fluthrichtung der socialen Kämpfe als die der Bauernkriege, und hundert wunderbare Bezüge knüpften das 16. Jahrhundert an das 19. Darum hielt ich mich für berechtigt, den Hauptgestalten meines Stückes, Münzer und Gerlind, die Züge eines modernen, jungen, genial angelegten socialen Agitators und seiner Braut zu leihen, eines ehrgeizigen Mädchens aus dem von ihm bekämpften Stande. Was kümmert es den Dramatiker des 19. Jahrhunderts, daß der geschichtliche Münzer verheirathet und ein guter Gatte war? Solch äußere zufällige Umstände kann er benutzen, wenn sie seiner künstlerischen Absicht zum Vortheil sind, er kann sie ebensogut fortlassen, denn er ist kein Geschichtsschreiber, und nur auf die innere Wahrheit seiner Gestalten kommt es an, nicht auf die urkundliche Treue.

Und so, mein verehrter unbekannter Gönner, übergebe ich Ihnen denn hiermit mein Stück. Daß echtes Bühnenblut dasselbe vom ersten bis zum letzten Wort durchpulst, daß es nichts gemein hat mit der Schablone der gähnend langweiligen modernen Geschichtsdramen, den sogenannten Oberlehrerstücken, daß es wenn kein anderes so doch das Verdienst der Eigenartigkeit besitzt – dies werden Sie, hoffe ich, demselben nicht abstreiten. Sie wollen es also aufführen?[13] Gut, ich weiß Ihnen Dank. Ich kenne Sie nicht, mein Herr, aber das weiß ich, daß Sie in diesem Falle ein Mann von seltenem Muth sein müssen, dem nicht wie seinen Collegen die Furcht vor der rücksichtslosen, unwissenden, kunstfeindlichen Censur die Arme lähmt, den nicht »jedes Neue, auch das Glück, erschreckt,« der aus der Bühne das machen möchte, was Hamlet »den Spiegel und die abgekürzte Chronik des Zeitalters nennt. Ein Mann von Muth müssen Sie schon sein, wenn Sie einmal auf Ihrer Bühne die Gestalten reden lassen wollen wie leibhaftige Menschen und nicht wie Dalldörfler oder Reisende in Kalauern, wie es unser Publicum so heiß und innig liebt – wenn Sie von derselben herab die dröhnende Stimme des Zeitgeistes ertönen lassen wollen, vor dessen grobem Ton man sich mit so krampfhafter Furcht die Ohren verstopft; und wenn Sie vor allen Dingen das Unerhörte wagen wollen auf dem deutschen Theater, das doch von Rechtswegen ausschließlich für Franzosen, Italiener, Engländer, Skandinavier, Spanier vorbehalten ist, einem deutschen Schriftsteller das Wort zu geben. Ei, was werden Sie zu hören bekommen ob solch' unerhörten Vermessens! Wissen Sie es denn nicht, daß man daran unsere Bildung erkennt, daß wir die schmutzigsten Zoten eines Dumas, die langweiligsten Rührseligkeiten eines Ohnet, denen in Paris Jedermann nur noch mit Gähnen zuhört, mit Jubel und Wonne aufnehmen, indeß es gerade die Franzosen wieder ehrt, daß sie ihren nationalen Standpunkt auf's Strengste wahren[14] und auch das vollkommenste Meisterwerk der deutschen Kunst nicht über die Pariser Bannmeile lassen? Wissen Sie nicht, daß es der erste Glaubenssatz eines deutschen Kritikers ist, daß Talent, Feinheit, Kraft, Grazie, Poesie nur einem Ausländer verliehen sein können, daß man eher seinen Vater ermorden dürfe als einem Landsmann, und noch dazu einem lebenden, und gar einem unter siebzig Jahren, zugestehen, er habe eine tüchtige künstlerische Leistung geschaffen – denn wie könnte ein Mensch, der unsere Sprache spricht, der in unserer Sprache schafft, mehr leisten als wir selbst? Wissen Sie auch nicht, daß das erste Gebot eines guten Theaterdirectors lautet: sich vor allen Dingen die »jungen Talente« vom Leibe zu halten? In den Papierkorb mit Allem, das sein Aussehen nur auf zehn Schritte der Kunst, Poesie, Vernunft verdächtig macht! Und wenn die Höflichkeiten und glatten Entschuldigungen nichts ausrichten, und die Dichter immer wiederkommen, zudringlicher werden, dann – Grobheiten und Rücksichtslosigkeiten! – – Wie, das Alles wissen Sie, und wollen es doch wagen? Nun, Gott sei Ihnen gnädig. Wahrhaftig, nur der Zufall kann Sie mir in den Weg geführt haben, denn was einmal Gutes und Lobenswerthes in der Welt geschieht ist sicherlich sein Werk, und er ist der einzige Freund, dem ich vertraue. Warum hätte er mir nicht einmal einen überspannten Kerl von Theaterdirector oder Regisseur in den Weg treiben sollen wie Sie, der närrisch genug ist sich zu sagen: »Na ... ganz schlecht ist das Ding nicht ...[15] was Henker, geben wir's 'mal – an einem Tage, da eh' kein Mensch in's Theater kommt ... schlägt's durch ... gut! ... macht's keine Casse ... schadet's auch nichts.«

Wackrer unbekannter Kunstförderer, der du größer, muthiger, kühner bist als alle deine Genossen, der du es wagst, eine einzige, seit Jahrzehnten unerhörte That zu vollführen, geruhe im Vollgefühl deiner Würde und deines Heroismus die Widmung dieses Werkes anzunehmen, das ich, ein deutscher Dramatiker, dir knieend in schuldiger Ehrfurcht zu Füßen lege.


Berlin, im Januar 1888.

Der Verfasser.[16]

Fußnoten

1 Unsere Tageskritik, die ja wie bekannt an einem Ueberfluß von Witz leidet, wird sicher nicht verfehlen, den Titel des Stückes zu einer ganzen Reihe der geistreichsten und geschmackvollsten Wortspiele zu benutzen. Um ihr die Freude zu verderben will ich ihr boshaft wie ich bin die Arbeit vorwegnehmen und die auf der Hand liegenden selbst machen. Möge das Publicum in meinem Brote vor allen Dingen das Salz nicht vermissen, es nicht zu trocken finden und da ich es ihm reiche nicht erwidern: ›Ja, Kuchen!‹ Möchte ich mit demselben die Butter auf's Brot verdienen, und möge es sich so lange es angeht frisch erhalten!



Quelle:
Conrad Alberti: Brot! Leipzig 1888.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Brachvogel, Albert Emil

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Narziß. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Albert Brachvogel zeichnet in seinem Trauerspiel den Weg des schönen Sohnes des Flussgottes nach, der von beiden Geschlechtern umworben und begehrt wird, doch in seiner Selbstliebe allein seinem Spiegelbild verfällt.

68 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon