Bekenntnis

[158] Als ich den modernen Dichter verehrte und in seinen Dichtungen meine eigene Seele erkannte, deutlicher, reiner, verständlicher als bisher in allen diesen verworrenen unruhereichen (unruhe-

armen) Tagen meines ganz jungen Daseins, ich bin erst 16,

erhob ich mich sogleich durch diese Verehrung[158] über mich selbst hinüber, in mysteriöser Kraft, die von ihm ausging, dem Dichter,

und über alle anderen meiner unerfahrenen stolpernden Gefährtinnen meines ungefähren Alters, die auch von irgend Etwas träumen, was wahrscheinlich nicht ist und nie kommen wird!

Ich flüchtete zu ihm, da ich Furcht hatte vor dem täglichen, dem alltäglichen Leben!

Als ich den Dichter aber kennen lernte,

und er mir so einfach sprach von der »Idealität des realen Lebens«,

und wie man jeglicher Stunde hienieden etwas Besonderes, Zartes, Tiefes, Schönes abzugewinnen die menschliche Pflicht habe, falls man eben genügend Herz, genügend Intelligenz mitgebracht habe in dieses schwierige Leben,

da besuchte ich ihn nie mehr wieder in seinem ge-

fährlichen Dichterzimmer, wo er Ansprüche stellt geistig-seelischer Art, denen wir nicht gewachsen sind,

sondern ich begnügte mich, wie stets bisher, mir

Das aus verehrten Dichtern herauszuholen,

was mir gerade noch in meinen kleinen »Kram« paßt!

In meinen Kramladen des gewöhnlichen Lebens.

Nur frage ich mich seitdem ununterbrochen: Wie kann es Paula Sch., die 20jährige, mit ihm seit zwei Jahren aushalten?!

Hat sie denn nicht bemerkt, daß er ein tyrannischer, unerbittlicher, unnachsichtiger Beurteiler aller unserer Unzulänglichkeiten sei trotz unserer anziehenden Weibchen-Hülle?![159]

Sie muß Etwas von Beethoven, Franz Schubert, Hugo Wolf, Mozart, Haydn, mitbekommen haben in ihrer Frauenseele,

so daß sie Welten erlebt von inneren Tönen, die uns Anderen trotz allem ewig verschlossen sind!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 158-160.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]