[255] Besuch ist etwas, wobei der besuchende Teil auf irgendeine Art und Weise auf seine Kosten, die er gar nicht hat, zu kommen sucht. Er wird vor allem aus seiner einförmigen alltäglichen, wenn auch ziemlich bequemen, Welt gerissen, und glaubt, hofft, wünscht, erwartet, daß man ihm vor allem Gelegenheit dazu biete. Der, Den er besucht, ist sein geistig-seelisches Opfer jedenfalls in irgendeiner Art, zumal er der zu respektierende Gast ist. Es ist unmöglich, ihm es ins Gesicht zu sagen: »Ich halte nichts von K.!« Denn eben K. hat ihn gemalt. Sagt man, Egger-Lienz sei eine Kraftnatur, so muß man es eventuell erfahren, daß man dieses Urteil gerade einem so »zartbesaiteten« Künstler nicht zugemutet hätte!
Schwärmst Du exaltiert von Erna Morena und Klotilde von Derp, so erfährst Du es prompt, daß gerade die äußere Anmut dem Dichter in Dir einen Streich gespielt habe und daß äußere Vollkommenheit doch noch nicht Alles sei, wie man bei Kant und Schopenhauer bemerken könne! Du bist also stets das Opfer Deines Besuches, und schließlich erfährst[255] Du es: »Ich werde dieses Plauderstündchen lange nicht vergessen! Ich habe Sie bis jetzt als Dichter geschätzt, nun aber verehre ich Sie auch als Menschen!«
Wo sind die hundert exzeptionellen Zigaretten, wo sind die hundert Kronen, wo ist der aparte Federstiel?! »Also, mein Lieber, auf ein baldiges interessantes Buch, adieu!«
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Mein Lebensabend
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