Die »Kaufmannswelt«

[130] Der Besitzer eines der »elegantesten« Friseur-Läden der Residenz – es ließen sich dort Grafen, Barone, Bank-Direktoren, reiche Müßig-Gänger, angeblich für die Menschheit wichtige Groß-Industrielle etc. etc. und sogar ein höchstmoderner Dichter (man kann also schon fast sagen: Narr) rasieren, frisieren, Kopf-waschen. (bravo! Aber leider nicht geistig-seelisch), also dieser Besitzer, trotz seinen 93 Jahren und seinem bedeutenden Privat-Vermögen, kränkte sich bei Tag und bei Nacht darüber, daß seine »außer-Haus-Gehilfen« ihre eigenen Geschäfts-Wege gingen hinter seinem Rücken, und Er daher nur den Namen der »altberühmten« Firma dazu hergebe, daß sie sich ihre Taschen unerlaubterweise (ha ha hi hi hia hia) füllten!

Ich sagte zu ihm: »Sie haben eine ganz unrichtige Buchhaltung! Berechnen Sie Ihre ewige Verzweiflung über Verluste mit 100000 Kronen jährlich, und Ihre Gleichgültigkeit gegenüber unvermeidlichen Verlusten mit 200000 Kronen jährlich, so bleiben Ihnen rein jährlich 100000 Kronen Profit! Wenn Sie nämlich die ›Weisheit‹ haben könnten, besitzen könnten, gleichgültig zu bleiben gegenüber unvermeidlichen Verlusten! Das Leben ist einmal so grausam-ungerecht!«

Da beugte er sich demütig vor mir und sagte: »Von oben herab, wie leicht und richtig zu beurteilen, aber drinnen stecken, ganz ganz drinnen, da sieht man ja eben nicht mehr leider ›von oben herab‹!«

»Das eben muß streng bestraft werden!« erwiderte der Dichter.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 130-131.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]