[164] Heute, 3. August 1916, 1/2II vormittags, sprach ich an der Ecke meiner Gasse eine junge bettelnde Frau an, die ich unter anderen Umständen, zum Beispiel in Landluft und Pflege, in 6 Wochen zu[164] einer fabelhaften Schönheit ausgestalten könnte. Sie hatte auf dem Arme ein wunderbar zartes weißschimmerndes schlafendes Töchterchen von 4 Jahren. Ich schenkte der Frau 20 Heller. Später sagte sie: »Mir geht es im Großen und Ganzen nicht schlecht, mein Mann ist im Irrenhaus und meine 4 Kinder sind in der ›Krippe‹ untergebracht, das Mittagessen gebe ich ihnen mit, aber abends schlafen sie bei mir. Ich wasche ›außer Haus‹, ich habe 5 Kronen täglich und die Kost. Aber am Freitag, am Bettel-Tag, stelle ich mich da auf und arbeite nichts, denn meine kleine Johanna ist so schön, daß mir das Betteln mehr einträgt als die 5 Kronen und die Kost. So jung geht meine schöne Tochter schon ins ›Verdienen‹!«
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Mein Lebensabend
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