Frauenschicksal

[65] Eine junge anmutige entzückende Dame sagte einmal:

»Bitte mich nicht zu irgend einem noch so guten Alkohol zu verführen, bitte ja nicht mir zu sagen, daß ein Refüs in dieser Hinsicht beleidigend oder auch nur kränkend wäre! Ich trinke nur in Gesellschaft meines Gatten, oder sagen wir es aufrichtig – anständig – brutal, nur unter dem Schutze meines Mannes! Ich weiß zwar leider nicht genau, wovor es mich errettet, aber schon das Gefühl der Sicherheit genügt mir für mein bißchen Lebensglück! Wir müssen uns bescheiden. Nicht Alle unter uns sind ›Genies des Lebens‹, obzwar wir alle gleichgebaut ausschauen! Viele unter uns sind froh, daß sie, so oder so, irgendwo, irgendwie, einen ›Unterschlupf‹ bei einem ›gediegenen‹, ›anständigen‹, angeblich ›anspruchslosen‹ Menschen gefunden haben! Wir sind nicht Alle ›Stürmerinnen‹ und ›Drängerinnen‹! Wir wollen auch ›idyllisch leben‹, nicht immer ›Märchenprinzessinnen‹ vorstellen für träumerische Idealisten, die nicht ›aus noch[65] ein‹ wissen in dieser verflucht komplizierten Welt! Aber können wir das?! Wenn wir aufrichtig sind, wir können es nicht. Wir können eventuell gut kochen, das Haus ›in Ordnung halten‹, sparen. Aber sind wir dann dadurch seine mysteriösen zarten Lebensblumen?! Keineswegs. Wie schwer ist es also für uns?!«

Gar nicht. Entscheide Dich tapfer! Für den einen oder den anderen Weg! Schwerer allerdings ist es, auf die Dauer zu entzücken!

Ich habe heute, 15./1., einen anonymen Brief bekommen einer Dame, weil ich in einer Skizze »Schicksal der Frauen« gesagt habe: »Schwerer allerdings als einen geordneten Hausstand zu erhalten, ist es, auf die Dauer zu entzücken.«

Die Japaner, viele Millionen, haben die demütigsten Frauen von der Welt. Aber ihre »Geishas« sind dennoch für sie »Poesie des Lebens, Romantik, Anmut, Leichtigkeit des Daseins«. Kann man denn, darf man denn, soll man denn die Frau nicht hie und da als »lebendiges Kunstwerk« der Natur betrachten, empfinden, anbeten dürfen?! Kann denn nicht eine Einzelne unter Tausenden, das Auge, das Auge bereits liebenswürdig-selbstlos befriedigen?! Weshalb darf es denn nicht »Pawlowas«, »Karsavinas« des täglichen Lebens geben?! Weshalb soll eine Frau uns nicht anders begeistern dürfen wie durch das Inordnunghalten unseres Wäschekastens?!? Goethe hatte Eine sicher und Andere, Viele, unsicher. Christiane Vulpius erkannte ihre Mission einem Goethe gegenüber, und übernahm sich hierin nie. Also ein Genie der einfachen Lebensführung. Weshalb sollen wir nur begeistert[66] sein von der Pflicht?! Ist denn das »Andere« im ach so komplizierten Dasein ein Vergehen?! Suum cuique, Jedem das Seine! Nimm, o Frau, einen Mann in seinen edlen Vielseitigkeiten! Denn der Einseitige ist nicht viel wert! Er ist – – – leider einseitig.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 65-67.
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