[270] Frl. E.K., die eine verhältnismäßig in den heutigen Zeiten angenehme Stellung (340 Kronen monatlich bei der Anker-Brot-Fabrik) momentan aufgegeben hat, um ihrem todesverzweifelten 59jährigen Dichter an Stelle einer unauffindbaren fremden verständnislosen Anti-Altenberg-Pflegerin die unentrinnbar wichtige und notwendige Pflegerin zu ersetzen! Sie wusch mir die Füße mit dem herrlichen Mittel »Fuß-Wohltat«, in lauem Wasser, da ich seit zwei Jahren mit nackten Füßen in Holz-Sandalen[270] gehe, und bis an mein Lebensende nicht mehr meinen unglückseligen unschuldigen Fuß in dieses Grab »Socken und Schuhe« einzuzwängen beabsichtige!
Als ich ganz niedergebrochen war, durch übertriebenes Einnehmen von Schlafmitteln (kein Arzt der Welt wird, will und kann es mir glauben: Paraldehyd, ein Jahr lang jede Nacht, statt eines Likörglases vierzig!), und ich durch Ausgleiten meiner Holzsandalen auf meiner eingeseiften Steinstiege knapp vor meinem Hotelzimmerchen einen doppelten Bruch meines linken Handgelenkes erlitt (sechs Monate verzweifeltsten Zimmer-nicht-Daseins), leisteten mir, dem absolut innerlich und äußerlich Vereinsamten in dieser ganz neuen Katastrophe meines katastrophalen, weil seit jeher Gott sei Dank ex-zentrischen Lebens, folgende Menschen unschätzbar wertvolle Dienste: Mein heißgeliebter vergötterter Bruder Georg, durch ewige Anteilnahme und Todesangst um mich. Der Professor Victor Hammerschlag: »Sie, Peter, sind Sie denn nicht ganz außer sich, daß Sie gerade jetzt, in der schwersten Krise Ihres ganzen Lebens, auf Ihr ›heiliges‹, nämlich für den physiologischen Organismus heiliges, d.h. wichtigstes, langjährig gehegtes und liebevoll-selbstlos propagiertes für die Anderen, darüber nur leider lächelnden, Abführmittel: Rhamnin (Cortex Rhamni Frangulae, eine österreichische Gartenpflanze), so plötzlich verzichten müssen?!?«
»Das ist Schicksal und Verhängnis!«
»Nun, ich verschreibe Ihnen hiermit ein einfaches Naturmittel, das noch viel besser wirkt:[271] Pulv. pad Rhei, Magnesia usta, ae 50, täglich einen Kaffeelöffel voll, trocken nehmen und Wasser nachtrinken! Oder: Kurella-Pulver!«
Das sind die drei Menschen, die mir in der schwersten, fünf Monate lang andauernden Krise meines Lebens reell geholfen haben. Die Anderen (das Ehepaar Fr. nehme ich aus, weil sie seelisch mitempfanden) begnügten sich mit für den Geschwächten beschwerlichen Besuchen und einer Anteilnahme, die für den »Durchschauer« keine ist! Ich habe viel, viel, sehr viel, trotz meiner 60 Jahre, noch zugelernt, in dieser schauerlichsten Krise meines aus hundert Gründen längst verlorenen Lebens, das ich mit oder trotz meiner weisen Erkenntnisse nur mehr wie ein »Invalide des Daseins«, aber nicht mehr als der Flug-bereite P.A., durchzuschleppen habe nunmehr! Desto mehr danke ich tief dankbarsten Herzens diesen drei Wenigen, die mir irgendwie mit irgend etwas geholfen haben, mich aus dem mehr oder weniger selbstgeschaffenen Grabe (Wer nicht?!?) noch wenigstens für einige Zeit mühselig feig herauszuschaufeln!
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