Innsbruck

[97] Eindrücke der ersten Woche: Gletscher-Luft inmitten einer Großstadt. Wie wenn in Wien am Graben Semmering-Luft wehte und Neuschnee von vergoldeten Bergen grüßte! Im »Bahnhof-Restaurant« herrliches Erbsen-Mus (seinerzeit, bereits historisch: Püree). Paula und Dr. D. um mich besorgt, wie wenn ich ein krankes Baby (jetzt: Kindchen) wäre! Nun, bin ich es nicht?! Tun mir nicht alle unnötigen Gemeinheiten, Rücksichtslosigkeiten, Taktlosigkeiten zum weinen weh, zum strampeln, zum laut kreischen?!? Die Kellner sagen zu mir: »Herr Professor!« Ich drückte dem »Ober« einen Zettel[97] in die Hand diskret: »Ich verdiene diesen Titel nicht, ich habe es bloß zu ›Peter Altenberg‹ gebracht, sagen Sie das, bitte, auch dem ›Getränke-Knaben!‹« In der Hauptstraße bewegte sich ein von Allen mit Respekt und Rührung betrachteter Zug: »Der Alm-Trieb«! Kühe, Schafe, Wagen ziehen von der Alm herab in die Winter-Ställe. Großstadt und Alm grenzen aneinander, nein, sie sind schwesterlich innig lieblich märchenhaft vereint! Ich sah eine Vase in blau-brauner Überlauf-Lasur, ebenfalls »Natur und Kunst« vereint. In dem Halbedelstein-Geschäfte sah ich eine Kette aus Bergkristall, Rauchtopas, Karneol, ebenfalls »Natur und Kunst« vereint, der Dame mit den wundervollsten Händen und dem nettesten »aufwartenden« Stallpintscher (Griffon) würdig! Nur 64 Kronen. Nur?!? Er kauft ihr ja doch nur Rubine!

Sonntag, 7./10., Stubaital-Bahn. Ewiger Schnee, Lärchenwald, hohe schlanke Eisen-Viadukte, in Tulpmes holzgetäfelte niedrige Wirtsstube mit Tee und Alm-Käse. Gegenüber der Friedhof mit schwarzgoldenen Kreuzen. Das »Werkhaus« höchst bunt bemalt gegenüber, Arbeit und Tod! Paula friert, der Doktor blickt sehnsüchtig auf seine »Kalkkögel«, den »Habicht«, das »Zuckerhütl«, den »Wilden Freiger«! Er sucht »Gefahren«, ich finde sie leider bereits überall in der Ebene!

Erste Woche im heiligen Innsbruck, sei bedankt und gesegnet!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 97-98.
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