Ottegebe

[273] Plötzlich, infolge eines komplizierten, doppelten Handbruches durch Sturz nach rückwärts von der Steinstiege meines Hotels, begann das schauerliche Schlafmittel-Gift, ein Heil und Segen der Schlaflosen, wenn man, bereits im Bette liegend, vorbereitet zum heiligen regenerierenden Nacht-Schlaf in der Dosierung eines Likör-Glases es nimmt (ich steigerte die Dosierung vom Jahre 1912 bis 1918 von fünf Gramm bis vierzig Gramm), plötzlich begann dieses lähmende Gift in dem durch den Handbruch wehrlos gemachten, geschwächten, unbeweglichen, ans Zimmer naturgemäß gefesselten, von der immerhin ein wenig ablenkenden Außenwelt unentrinnbar abgeschlossenen Körper seine verheerenden Wirkungen durch völlige Lähmung der Lebens-Energien.[273] Kein Waschen mehr, kein An- und Ausziehen, kein Essen, das kommende unentrinnbare schauerliche Verkommen eines durch übertriebene Schlafmittelgifte, die, richtig genommen, Heil und Erlösung des unglückseligen Schlaflosen unbedingt bedeuten, und ihm sechs bis acht Stunden Rast, Ausgelöschtsein vom elenden Dasein bedeuten und garantieren, Zerstörten, nein, Verurteilten, nein, Gerichteten! Nein, nur gerecht Bestraften!

Der Professor, Baron W.v.J., ein Verehrer meiner Werke, sagte mir unentrinnbares »Delirium« und »Gestorbensein für mich und die Welt« voraus!

Da erbot sich in dieser bangsten, nein, in dieser gefahrvollsten Zeit meines Lebens, eine junge, bildhübsche, 18jährige Verehrerin meiner Werke, mir von morgens bis abends als Krankenpflegerin zu dienen, E.K.

Ihre Aufopferungs-Freudigkeit war grenzenlos.

In den ersten acht Tagen bereits ist eine Besserung zu verzeichnen, die das Sanatorium erst in sechs Wochen erreicht oder vier Monaten! Oder gar nicht.

Heil meiner jungen, modernen, 18jährigen Ottegebe, Heil E.K. und Dank!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 273-274.
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