Stadtpark

[307] 13. Juli, 2 bis 5 Uhr nachmittags. Märchen-Bäume, Märchen-Sträucher, Märchen-Wege, steinerne Mauern mit hellblauen riesigen Vasen in Nischen und überhängende dichteste dunkelgrüne Kletterpflanzen. Der düstere Teich dicht bedeckt mit herabgefallenen verwesenden Blättern. Die Zauber-Bäume mit ihren mystischen Blüten: Katalpa und Paulovnia imperialis. Weshalb kein eleganter Handspritzwagen, hellbraunes Holz lackiert, der mit fadendünnem langem Wasserstrahle die staubigen Wege, ohne Lachen zu bilden, zart-tauartig besprengt?!? Wie ist es möglich, gerade das zu unterlassen?! Ein nett uniformierter ganz billiger Knabe müßte da den ganzen Tag den Staub ermorden, diesen Lungen-Mörder!

Manche Mädchen suchen die schattigsten, frischesten, düstersten Sitzplätze auf, andere wieder geben sich der braunröstenden Sonne hoffnungsreich hin, erwarten da eine Besserung, ohne je krank gewesen zu sein! Wer vermöchte es zu bestimmen, wem Schatten frommt und wem röstende Sonne?!? Der Glaube wirkt hier aufs Geratewohl, mich selber lähmt die Sonne, Stoffwechsel-verlangsamend, während[307] Kälte mich befördert! Welche edle Ruhe in dieser Großstadt-Oase »Stadtpark«! Das, »Getriebe« ist endlich gestorben und der Gartenfriede feiert, seine Auferstehung! Ärzte, weshalb sendet ihr noch immer nach alter Schablone selbst Patienten, die es schwerst oder gar nicht bezahlen können, nach Karlsbad, Franzensbad, Teplitz etc. etc?! Im Wiener Stadtpark könnt ihr von 7 Uhr morgens an jede Trinkkur besser, billiger, bequemer (ihr habt trotzdem euer Bett, euren Kopfpolster, eure Bedienung, eure Wäscherin, euer Kaffeehaus, eure sogenannten Freunde) absolvieren als direkt an der Quelle, schreckliches Vorurteil! »Ja, mein Lieber, das ist alles sehr schön und richtig, was Sie uns da predigen, aber wir müssen ausspannen, einmal gründlich ausspannen von allen unseren üblen Gewohnheiten mindestens vier bis sechs Wochen lang, ein anderes fremdes Milieu, mein Lieber!« Erstens wußte ich bisher gar nicht, daß ihr »üble Gewohnheiten« habt, und zweitens kann man sie eben auch im »Wiener Stadtpark« mit gutem Willen ablegen. Könnt ihr das nicht, dann pfui!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 307-308.
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Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]