Vom Dichter

[18] Wenn irgend Etwas in meinem Leben schon nicht ganz und gar stimmt,

dann höre ich momentan auf, Dichter zu sein.

Sie werden billigst sagen, Sie seien der Meinung, daß dann selten oder gar nicht bei mir Alles stimme! Ich hingegen sage, wie wenig wirkliche Dichter gibt es dann unter dieser Voraussetzung?!

Zum Dichten gehört vor allem »Freiheit von Allem, was alle Anderen bedrängt und knebelt«. Ich spreche da noch gar nicht von »langsam unmerklich beginnenden organischen Erkrankungen irgendwo«, der Arzt weiß es leider erst, bis er es weiß, von »mehr Geld ausgeben als man sollte«, vom »Ehrgeiz-Krebse«, vom »Neide«, von »Qual der Eifersucht, diesem Krebs der Seele«, ich spreche da sogar bereits von der allergeringsten Magen- oder Darm-Verstimmung oder ähnlichen scheinbar unbedenklichen Schwächungen. Für den »Dichter-Organismus« ist eben leider Gott sei Dank nichts unbedenklich, sondern schwer schädigend. Deshalb muß er bei allem scheinbaren Talente dennoch ohne »Hygiene und Diätetik« schändlich Schiffbruch leiden, es wäre denn, er wäre, Einer unter Tausenden, ein Welten- Riese à la Goethe, Zola, Tolstoi, Hamsun, Dostojewsky und viele Andere noch, aber nur so ohne weiteres dahinleben, dahin-dichten, und sich verlassen auf das, was Mütterchen »gütige Natur« Einem gutmütig-notdürftig gerade so noch, ach ja, gespendet hat, vielleicht kommt es sogar von Großmutters Gnaden oder noch wo ganz anders her, oder von Erbonkels Gnaden, das, siehe,[19] genügt heute nicht mehr. Die von 1870 ließen sich noch täuschen, aber Die von 1917 nicht mehr! In wessen Seele nicht der »Engel der Weiterentwicklung, der Weiterverbesserung des Lebens aller Menschen« seine goldenen Flügel hebt, um vorauszusteuern, Der bemüht sich vergeblich um den ewig-grünen Lorbeerzweig, der nur scheinbar kleinen, aber alleinigen Wert hat.

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 18-20.
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