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[116] Zugrundegehen, weil man es allmählich erfahren hat,
daß Alles nichtig und unwichtig sei!
Die »Nichtigkeit« des Seins auskosten,
bis man es richtig spürt, daß es ganz nichtig sei!
Nehmen wir ein Beispiel, irgend eines:
Sie ist begeistert von deinen neun sogenannten »Lebens-Bibeln«,
erwünscht es sich sehnlichst, dein sogenanntes »Nest« kennen zu lernen. Nun gut, es ist in blau, braun, grün gehalten,
es spricht für deinen P.A.-Geschmack.[116]
»So habe ich es mir direkt erträumt« träumt sie!
Und dennoch hat sie nichts für sich von alledem davon!
Erst bis er ihr sagt: »Mein Zimmerchen ist erst jetzt komplett durch Sie!«,
erst dann hat sie wenigstens eine flüchtige Sekunde von Befriedigung,
oder sagen wir richtiger und anständiger,
von Enttäuschungslosigkeiten!
Goethe war, glaube ich, nie enttäuscht von irgend etwas,
denn das Leben brachte Ihm dies und das,
Schätze oder wertloses Gerümpel,
aber enttäuscht, siehe, war er nie
von irgend etwas,
denn entweder er konnte etwas für die Anderen Wichtiges daraus formen,
oder er konnte es eben leider nicht!
Er tat, was Talent und Gelegenheit ihm von selbst in Gnaden anboten!
Mir sagte Eine, die mich von selbst tief rührte:
»Ich habe mir ein ganz anderes Bild von Ihnen gemacht nach Ihren Büchern!«
»Das ist Ihre Schuld, Fräulein, weder die meine noch die meiner Bücher!«
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Enttäuschung,
wahrhaftigstes grausamstes unerbittlichstes einfachstes verständlichstes Wort aller sonst mehr oder weniger verlogenen Worte, seien sie geschrieben, gesprochen oder für die Ewigkeit sogar gedruckt! Oder sogar nur mit verlogenen[117] Blicken frech-zart angedeutet! Man war mit der Bergbahn in »Fulpmes«, im Gasthofe erhielt man Tiroler Käse und heißen Tee, um die gelbe Kirche herum war der kleine Friedhof mit schwarzen geschmiedeten goldverzierten Kreuzen. Überall ringsum ewiger Schnee, der die Hoch-Klette rer reizte, während mir und Paula der schüttere Lärchenwald auf feuchtem gelbgrünem Wiesengrunde genügte; Gefahren birgt für Seelen das Leben selbst, zu jeglicher Minute, weshalb sie also erst aufsuchen, da sie Dir bequem von selber leider kommen!?! Ich sprach von dem wahrhaftigsten, dem grausamsten, dem unerbittlichsten, dem einfachsten, dem verständnisvollsten Wort: »Enttäuschung«. Nun, siehe, auf der Abend-Fahrt von Fulpmes mußten Paula und ich zwei alten Damen unsere lieben Plätze, die auf den Vollmond schauten, überlassen. So standen wir die ziemlich lange Fahrt, und ihre Schultern lehnten unwillkürlich in der Enge des Berg-Waggons an meinen Schultern an. Da fühlte ich: »Enttäuschung?! Für Bequemlichkeit tauschst du Romantik ein, ein andermal wieder für Romantik Bequemlichkeiten!« Die zwei alten Damen bedankten sich in Innsbruck noch ganz besonders herzlich für unsere Liebenswürdigkeit.
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