Das Hotelzimmer

[51] Um 3 Uhr morgens begannen die Vögel leise zu piepsen, andeutungsweise. Meine Sorgen wuchsen und wuchsen. Es begann im Gehirn wie mit einem rollenden Steinchen, riß alle Hoffnungsfreudigkeiten mit, die Lebensleichtigkeiten, wurde zu zerstörender Lawine, begrub die Fähigkeit, dem Tage zu genügen und der unerbittlichen gebieterischen Stunde! Den Zufällen! Ein lauer Sturm brauste in den Baumwipfeln vor meinem Fenster. Ich hatte also wegen nichts und wieder nichts das Leben der süßen Frau J. belastet und gestört. Auch refüsierte mir einer meiner Gönner von nächstem Monat an die kleine Monatsrente. Er hatte irgend etwas über mich gehört und meine Ansichten. Sie waren ihm zu radikal und unsympathisch. Mein ästhetisches Ideal, Frau W., gehört seit langem denen, die sie bezahlen können. Ich, der den »mystischen Kultus der Schönheit« mit ihr trieb, war ihr stets zu unelegant angezogen, unverständlich und überhaupt verrückt. Wenn ich auf die Kniee niedersank, von ihrer adeligsten körperlichen Vollkommenheit tief, tief gerührt, sagte sie, ich sei pervers veranlagt, ich solle sie nicht blamieren! Mein Hotelzimmer erhellt sich, meine Seele verdunkelt sich. Es wird Morgen.

Das Singen der Vögel in den Baumkronen wird deutlicher, Ansätze zu Melodien sind vorhanden. Laue Stürme bringen Wiesengeruch. Es wäre die schicklichste Stunde, sich am Fensterkreuze aufzuhängen – – –.[51]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 51-52.
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