Die Glücklichsten

[11] Die Glücklichsten sind die Schwäne am Gmundner See. Sie genießen alle Vorteile der Zivilisation, der noblen Protektion durch die Menschen, und alle Vorteile der Freiheit, indem sie an den schilfbewachsenen Ufern eines zwölf Kilometer langen Sees wohnen! Im Winter wird ihnen von der Gemeinde aus Futter gestreut, im Herbste fliegen sie über den See mit tönendem singendem Flügelschlage, ihre Verstecke werden geschont und ihre Jungen mit Respekt behandelt. Sie gelten als Zierde der Landschaft und ohne irgend jemandem etwas Gutes zu erweisen, befinden sie sich von selbst in der Huld aller. Nie werden sie verfolgt, geschossen und gebraten und ein jeder sagt, sie hätten übrigens ein schrecklich zähes ungenießbares Fleisch. Auf die Schwanendaunen wird sogar verzichtet im Interesse der landschaftlichen Staffage, der sie redlich dienen, von selber und ohne Verdienst. Sie sind die »Lieblinge des Publikums«, und ihre Daunen schwimmen wie Sommerschneeflocken unbenützt auf dem Seespiegel. Nur einmal wurde einer vom Jägerburschen erschossen, weil er schrecklich aggressiv gegen ein kleines Boot und seine zu Tode erschreckten Insassen, junge Damen, vorging, mit Flügelschlägen, weil man sein Weib und fünf hellgraue Junge gestört und angefahren hatte mit Kiel und Rudern, wenn auch unabsichtlich. Aber auch dieser starb damals in höchster leidenschaftlicher Erregung, für sein Geliebtestes kämpfend, den edlen, beneidenswerten Heldentod, während einer Ekstase, in der[11] man keine körperlichen Schmerzen wahrscheinlich spürt!

Ein Glücklichster ist noch der wunderbare riesige Schimmel »Ali Baba«, Deckhengst in dem berühmten Gestüt Kladrup. Alle seine Lebensenergien werden liebevollst gehegt und gepflegt, daß er sie bewahre für seine herrlichen Geliebten, die berühmten Stuten. Um ihn herum in der Welt werden täglich Milliarden von Tieren malträtiert, gefoltert, sei es zu diesem, sei es zu jenem Zwecke, geschlachtet, kastriert, dickgefüttert auf Mästung zwangsweise, für Leberentartung künstlich präpariert! Aber er, der Schimmelhengst wird gepflegt und gehegt, und als Belohnung für Dienste, die nur Freuden waren, erhält er ein reichliches Gnadenbrot in seinen schwachen Tagen.

Ein anderer Glücklichster ist noch Beethoven. Taub für die Niederträchtigkeiten seiner Nebenmenschen, ließ er die »Symphonie der Welt« in sich ungestört ertönen.. Stundenlang fischte er leidenschaftlich in Nußdorf an der Donau, war glücklich, wenn ein ungenießbarer Fisch endlich nach Stunden anbiß. Alle hielten ihn für einen verrückten Dichter, grüßten ihn aber ehrfurchtsvoll. Niemand störte ihn, er klagte sich aus in Adagios, tobte sich aus in vierten Sätzen, lächelte wehmütig über sich selbst und die Erde in Scherzos. Er fühlte sich als Geber und Spender, als Vermehrer und Entwickler, trotzdem er selbst davon nichts wußte direkt und an die Donau fischen ging.

Dann sind noch zu den Glücklichsten zu zählen die Otterhunde, welche in Rudeln reiche Züchter[12] in England loslassen gegen die Fischottern in Bächen und deren Erdhöhlen und Felsenhöhlen am Ufer. Sie hassen die Fischotter pathologisch, fürchten nicht den Tod durch ihre Rasiermesserzähne. Sie haben einen krankhaften Haß gegen die Fischottern, die ihnen nie, nie etwas Böses angetan haben. Aber wenn man sie losläßt gegen sie, sind sie glücklich! Unter deren spitzigen unerbittlichen Zähnen verenden, ist Wollust! Wozu hat man denn seine Kräfte, als um sie im Fischotterhasse zu verbrauchen?!? Die Fischotterhunde sind daher auch wirklich Glückliche! Sie kennen nur Haß und Leidenschaft. Und ein solcher Hund blickt ebenso traurig, wenn die Fischotter entwischt ist, als ein Adagio Beethovens ertönt. Sie träumen Tag und Nacht vom Fischottertode. Sie sind groß, haben ein wüstes stichelhaariges Fell und Augen, in welchen eine unerbittliche mysteriöse grausame Mission funkelt, der Fischottertod! Auch diese Organisationen sind wirklich Glückliche!

Aber diese anderen, auf dem Prokrustesbett des Lebens verkrüppelt zum Bedürfnis des Tages, sind nicht eine Stunde lang glücklich, sondern sterben dahin im Dienste, wehmütig wenn auch unbewußt trauernd um ihre zurückgedämmte Natur![13]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 11-14.
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