Die Kellner

[131] Mein Vater kam zehn Jahre lang nach einer Geschäftsreise nicht mehr nach seinem geliebten Paris. Als er endlich wieder hinkam, sagte der Kellner bei »Brébant«: »Mein Herr, wir haben Sie seit langem erwartet. Wir werden Ihnen Ihr Lieblingsdiner servieren lassen, falls es Ihnen recht ist, und Sie Ihren Geschmack nicht geändert haben – – –«.

Und es kam das Lieblingsdiner, das man sich zehn Jahre lang gemerkt hatte.

Bei uns ist es anders. Wenn ein Gast zehn Jahre lang Rostbraten mit Zwiebeln haßt und er sanftmütig sagt: »Heute möchte ich etwas essen, was mir besonders schmeckt«, so erwidert der Kellner: »Vielleicht ein schönes Rostbraterl mit Zwiefel – – «.

Aufmerksamkeit ist die Quelle von Trinkgeldern! Aber das wollen sie bei uns nicht einsehen. Sie sind nicht »kultiviert« genug, um ein gegenseitiges Geschäft mit dem Gaste zu machen, bei welchem beide Teile ihren Nutzen ziehen! Der Gast ist ihnen »gleichgültig«. Das spürt dieser. Daher eine Beziehung, die gleichsam sogar feindselig ist.

In Paris gibt es ebensowenig Idealisten und Schwärmer unter den Kellnern wie in anderen Städten. Sie haben die Sucht nach erhöhtem Trinkgelde, selbstverständlich. Aber sie sind eben hierin geschicktere Menschenkenner. Sie wissen es, daß man etwas dazu tun muß. Einem Gaste auf ehrliche Weise seine Taschen öffnen, ist alles! Das ist die Kellnerkunst! Außerdem sollte man den Ehrgeiz[131] haben, in seiner Betätigung, und sei sie noch so unscheinbar, das Besondere zu leisten. Das erhöht das Lebensgefühl, steigert die Lebensenergien, kommt also dem zugute, der es ausübt. Auch das ist das beste Geschäft, das man mit den anderen machen kann! Bediene verdrossen, mürrisch, gleichgültig – – – und es wird dich schwächen, lähmen! Bediene den Gast liebenswürdig, aufmerksam, bedacht auf alles – – – und es wird dich verjüngen, dich lebendig machen und frohsinnig! Menschenfreundlichkeit ist das beste Geschäft, das man machen kann mit seinen Nebenmenschen. Aber es muß einem »organisch« sein, kein Zwang.

»Mein Herr, ich werde Ihnen heute eine ›souppe à la moelle‹ bringen, ich habe nämlich das herrliche Markbein dazu bereits gesehen – – –«.

Oder: »Die schönsten ›Sole‹ sind bereits verkauft, nehmen Sie daher heute lieber ›Branzino‹; weshalb sollten Sie sich mit den kleineren Soles begnügen?!?« Man erwartet von einem regelmäßig bedienenden Kellner die zarten Aufmerksamkeiten einer Mama für ihr Baby. Aber meistens ist er ein unwilliger Pflichterfüller. Aber auch der Gast ist kein Lebenskünstler, falls er nicht »besondere Leistungen der Menschheit« besonders honoriert! Er denkt roh und unmenschlich: »Dafür ist er doch eben angestellt – – –«. Da geschieht es ihm recht, wenn er vor Ärger einen Magenkatarrh kriegt! Niemand ist angestellt hienieden für »zärtliche Behandlung«! Dafür gehören Extrahonorare![132]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 131-133.
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