Die Stätten unserer paradiesischen Kinderzeit
Pehoferalm auf der »Rax«

[29] Wie oft, wunderbares Schwesterlein Gretl, süße edle 15 Jährige, übernachtetest du selig im einsamen Frieden der Pehoferalm! Dem Nachtsturm lauschend in Bergföhrenwipfeln!

Da alles, alles noch vor dir lag, das Leben mit geöffneten Toren, gabst du dich sorglos-träumerisch hin dem Glücke der Pehoferalm!

Jetzt, nach langen Jahren, öffnet sie dir ihre Schutzhütte, Schutzstätte – – –; weinend aber, gebrochen, meidest du nun ihren Frieden, den sie dir anbietet wie eh und jeh – – –.


Pürsthof am »Gahns«

Gretl, von dir allein unter allen Frauen spürte man es ganz deutlich, daß du die mysteriöse Pracht einer Berglandschaft ebenso lieb haben konntest wie einen geliebten Menschen!


Holzgatter beim Mieseltalsteig Schneeberg

Die Menschen sagen: »Das gehört dir und das gehört mir – – –«. Sogar im Gebirge!


Österreichs Urwald Rax Nasskamm

Im Bergwald vermodern horizontal die Baumriesen, werden zu braunroter feuchter Erde. Weil[29] die Transportkosten den Wert des Holzes verschlängen. Aber aus ihrem rotbraunen Humus erstehen neue Bäume, die bereits vom »Genie des Verkehres« verwertet werden können. Aber die Erde wird dabei dürrer und dürrer – – –.


Schneeberg Waxriegel

Vom »Baumgartnerhaus« pilgerten wir Kinder hundertemal nachts den Zickzackweg hinan, dem Sonnenaufgang zu, unausgeschlafen, frierend. Kühe schliefen auf der dunklen Alm und das niedrige schwarze Zirbelgebüsch war wie ein verzauberter Zwergwald. Feuchter Sturm blies und rauschte und wir hofften nur inständig auf Licht und Wärme. Um 4 Uhr brach die Sonne durch das Wolkenmeer –.


Schneeberg Elisabetkirchlein

Zirbelgebüsch, wie kriechst du am Boden, nachgebend dem Bergsturm!?

Elisabeth, du standest aufrecht – – –. Da brach dich der Sturm!


Knofeleben Alm am Feuchter

Hier werden keine kleinen Kinder malträtiert, hier ersehnt niemand sich Reichtümer und Ehrenämter. Nur das getroffene Reh erhebt leise Anklage. Aus dem Rindenbrunnenrohre kommt Wasser mit fadem Geschmacke. Lebe du so, daß es dir dennoch besser mundete als Pommery!


Vorfrühling am Schneeberg

[30] Schneeflecken und weiße Steine sprenkeln die graugrüne Alm. Und zwischen 11 und 2 trinkt der Boden den Schnee, welchen die Sonne ihm schmilzt!


Schneeberg Rast am Wege

Jeder schöne Punkt des Weges ist ein Ziel! Aber die anderen wollen ganz oben hinauf gelangen, rastlos.

Am Wege rasten können, mit unerschöpfter Lunge, mit unerschöpftem Herzen, wäre mehr!


Einer jungen schönen Dame, die mir erklärte,
die Natur mache sie »Melancholisch«

Je näher du den Frieden der Natur erschaust, erlauschest, die selber wunschlos, selbstlos ihre Schönheit spendet, o Fraue, desto tiefer fühlst du deine eigene Selbstsucht, Härte und Friedlosigkeit, fliehest naturgemäß den Frieden der schönen Landschaft, der dich aburteilt!


Bobsleighrennen am Schneeberg

Winter – – –; gebannt in romantischen Melancholien Tag und Nacht lauscht ein Beethoven deiner stummen Pracht, Winter! Aber die anderen müssen sich bewegen, sich von außen wärmen, nahe Ziele, Zwecke suchen körperlicher Betätigung!
[31]


Bodenwiese am Gahns

Ohne »krankhaften Fanatismus«, erinnernd an das Heimweh der Nachtigall im Käfig, enträtselt sich dir nie die Schönheit der Welt! Hysterische Melancholie ist die beste Veranlagung, einer Landschaft gerecht zu werden!


Waldbänke beim »Talhof«

Des Abends kommt frischer duftender Waldwind von allen Hügeln und von allen Bergen. Nichts geht vor und dennoch ist man gerührt und ergriffen. Der Tag ruht aus vom Sonnenbrande. Eintagsfliege »Mensch«, Waldwind wird wehen von Hügeln und Bergen, von den Bergen und von den Hügeln immerdar – – –.


Baumgartnerhaus

Märchen des Lebens! Vom Mittagstische auf der Terrasse, Baumgartnerhaus am Schneeberg, sahen wir dich in Sonnennebeln, Rax! Wie ein weißer leuchtender Kreideberg erstandest du uns Kindern, während wir gierig in zehrender Bergluft aßen und tranken – – –.


Die Blumen

Der weiße Fingerhut auf schattigen Bergwiesen, der Türkenbund, der Frauenschuh, das Kolröserl, die Berghimbeere, der Speik, der Seidelbast. Schon die Namen erzeugen Bergheimweh. Wie andere Namen Heimweh zeugen nach entschwundenen Ländern unserer Seele: Anna, Nah-Baduh, Käthe, Bessie, Gudula –.


Bauernhaus in Edlach

[32] Städter, kühle deinen »brennenden Ehrgeiz« im Schatten dieses breiten Bauerndaches!


Landfrieden Nasswald

Hast du bereits, o Mensch, trotz deinen übermütigen jauchzenden Kräften, den hohen Mut, diesem Schlachtgetümmel »Leben« vorzeitig, rechtzeitig, zu entfliehen, das dich nicht zur Besinnung kommen läßt und deine Kleinlichkeiten? Siehe, eine abgeschossene Kanonenkugel würde erst in 14 Jahren auf dem Mars landen. Und deine Sekunde erscheint dir lang und wert?! In der Stille des Landlebens vernimmst du allzu laut die Stimme deiner wichtigen Nichtigkeiten! Landfrieden ist ein Gift für Friedelose. Nur wer sich selbst gefunden im Gewirr des Kampfes, restlos, darf rasten![33]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 29-34.
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