Gamelang-Musik

[107] Ich bin seit heute 2 Uhr nachmittag, 26. November, wie jemand, dem man sein Todesurteil verkündigt hat. Denn in einem Leben existieren zu müssen, in dem dieses Ereignis möglich war, ist die verlängerte Qual des Hinsterbens. Ich hoffe, daß alle, alle, die irgendwie in der Lage sind, sich öffentlich an die beleidigte Menschheit zu wenden, in einer Art von hysterischer Ekstase zur Rache, zur Bestrafung aufreizen werden! Ich hoffe, daß diejenigen mit dem Worte der letzten Verzweiflungen mich ablösen werden, die nicht, wie ich, das Joch eines Poseurs oder eines Irrsinnigen tragen. Ich setze die Notiz hierher, die ich gelesen habe, und an der ich für immer innerlich krank bleibe: »Die ›Niederländische Wochen-Zeitung‹ berichtet: Eine schöne Sklavin des Sultans von Karangasam wurde von diesem so schändlich behandelt, daß sie aus dem Puri entfloh. Sie wandte sich an den Residenten von Bali und bat ihn flehentlich, sie doch nicht auszuliefern, da sie nach ihrer Rückkehr zu Tode gemartert werden würde. Der Resident durfte jedoch den bestehenden Kontrakten nicht zuwiderhandeln und mußte die Sklavin den Henkern des Sultans überliefern. Diese banden das arme Weib, auf Befehl des Sultans, völlig entkleidet und mit ausgestreckten Armen an ein Kreuz und schossen auf sie aus alten Vorderladern mit trockenen Katjangbohnen. Die Tortur dauerte fünf Stunden. Nach jedem Schuß überzeugten sich die Bestien davon, wie viele Millimeter tief die Bohnen ins Fleisch gedrungen.[107] waren. Fiel das Weib in Ohnmacht, so wurde so lange gewartet, bis es wieder zum Bewußtsein gekommen war. Der Sultan erklärte, das Jammergeschrei der Unglücklichen klänge wie Gamelangmusik. Einige Bohnen, die durch die Augen in das Hirn der Unglücklichen gedrungen waren, machten endlich ihrem Leiden ein Ende.« Und ein Europäer, der Vertreter eines kultivierten Staates, hat sie, die von uns allein noch das menschliche Herz erwartete, den Henkerbestien ausgeliefert! »Wir wollen die Sache nun einmal ein wenig nüchterner, weniger ekstatisch betrachten«, sagt der Historiker, der Staatsmann, der Völkerpsychologe. Kommet zu Wort, wenn es an der Zeit ist – – –. Aber zuerst lasset das Herz der Menschheit sich beklagen, sich ausweinen und sich schämen![108]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 107-109.
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