Künstlerfest

[133] Ich saß mit fünf Frauen an einem reservierten Tische des großen Künstlerfestes im Künstlerhause. Sie hatten erlesene Kostüme an und sahen aus wie aus besseren und geheimnisvollen Welten. Die eine hatte ein rosenrotes Krinolinenkostüm an, eine herzige Frisur mit tiefem Scheitel und je drei an den Ohren herabhängenden gedrehten Locken. Sie hatte einen Blick von grundlos klagenden Augen und eine reizende Stumpfnase. Die zweite hatte ein grünes Krinolinenkleid an und suchende Augen eines Kindes, das seine Bonne im Gedränge verloren hat. Die dritte hatte ein Kleid aus China, in weißer gestickter Seide, einen Elfenbeinteint und Augen, die es bereits aufgegeben hatten, die Rätsel des Lebens zu ergründen. Die vierte war ganz in schwarzem Samt erschienen, mit der korallenroten Blume »Scherzeriana« im schwarzen Lockenhaare. Ihre Augen sagten: »Wenn ihr wüßtet, was ich weiß – – –«. Aber sie wußten es alle, alle, daß das Leben kein Kinderspiel sei, sondern eine Sache für ganz gewappnete Menschen. Die fünfte war ganz in Grün gekleidet, vom Hals bis zu den Füßen. Sie hatte aschblonde offene Haare und ihre hechtgrauen Augen stellten die »Melancholie« dar an und für sich, die hundert Gründe hat und dennoch keinen einzigen, ein Irrsinn der Seele und eine Wahrheit des Geistes, daß wir noch allzu ferne sind vom Ideal! Und daß wir vergebens kämpfen werden – – –.

Diese fünf Damen ließen die Festesfreude und den Lärm der Lust an sich vorüberbrausen, waren wie[133] ein mysteriöses Eiland, an dem die Wogen der Lebensfreude brandend Halt machten und zerrannen. Alle fünf hatten die seltene Kraft, überall nur sie selbst zu sein, und mit der frohen allzu leichten lächelnden Stunde aufzubegehren in innerer Geschlossenheit! Manche Männer kamen, den Ton zu bringen, zu erzwingen, festlicher Freudigkeit, allgemein menschlichen Versinkens im Taumel des amüsanten Augenblickes – – – vergebens. Die fünf Damen saßen da und blickten auf das Getriebe und wunderten sich. Nein, sie wunderten sich nur über sich selber, daß sie so früh gelernt hatten, sie selbst zu bleiben im mutwilligen Leichtsinn, der betäuben hilft!

Mancher dachte: »Schade um diese merkwürdigen und wunderbar kostümierten Frauen – – –. Sie fügen sich nicht ein in das Getriebe«.

Nein, das taten sie nicht. Sie dachten milde: »Schwestern, o glückliche kostümierte Schwestern, die ihr für Stunden vergessen, verlöschen könnet aus eurem Leben, aus eurem Gedächtnisse, was wir Ungeschickten nicht selbst für kurze Stunden zusammenbringen, es auszulöschen in uns – – –«.

Als wir das Fest verließen, sagte jemand unter uns: »Nun, unsere Damen haben nicht viel von diesem Feste gehabt – – –«. Ich erwiderte entgegnend: »Wie wenn Erwachsene nichts hätten von Kindern auf einem Kinderballe?!?«

»Das verstehen wir nicht«, sagten die Herren pikiert, »Frauen haben lustig zu sein auf einem Kostümballe und basta!«[134]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 133-135.
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