Mode

[69] Die »Mode« ist das ästhetische Verbrechen an und für sich!

Sie will nicht das endgültig Gute, Schöne, Zweckmäßige. Sie will »immer etwas Anderes

Sie will das Taumeln von einem Irrtum zu einem anderen. Sie lebt vom Irrtum, der einem anderen Irrtum Platz macht. Sie lebt von kindischen Veränderungen. Die Mode mästet die Schneider, Schuster, Hutmacher.

»Man trägt heuer ...« ist eine verbrecherische Feigheit.

Man hat ewig und immer zu tragen eine den Gesetzen der Hygiene entsprechende Sache, eine künstlerische, einfache.

Ein leichter Girardihut mit edlem breiten Seidenbande kommt nie aus der Mode. Noch ein Panama. Noch ein Sombrero. Noch eine weiße Pikeebluse. Noch ein breiter lederner Gürtel. Noch ein fußfreier plissierter Glockenrock. Noch breite, weite amerikanische Schuhe mit stumpfen Absätzen. Noch ein spanischer Schal.

»Aus der Mode« kommen nur die Irrtümer, die kindischen Spielereien, das von Schneiders oder Hutmachers Gnaden Geschaffene!

Dein Kleid aber sei deine letzte Epidermis, deine feinste künstlerische Haut gleichsam!

Der »Schliefer«, dieses weite, bequeme und nicht sehr teure Kleidungsstück, darf niemals mehr aus der Mode kommen. Es gibt eben auch in diesen[69] Entwicklungsphasen endlich ein erreichtes Endziel. Die organischen Veränderungen finden nicht statt, um den Gewerbetreibenden Aufträge zu verschaffen, sondern um nach einer Reihe von Irrtümern endlich zum Endgültigen vorzudringen!

Der Kultivierte hat die Pflicht, sich den willkürlichen Veränderungen der Mode entgegenzustellen! »Man trägt heuer ...« ist ein verbrecherischer Idiotismus. Was kümmert uns die Bilanz der Schneider, Hutmacher und Schuster?!?

Bequem, dauerhaft, einfach, naturgemäß ... darin allein bestehe die Schönheit eines Kleidungsstückes.

Der edle Stoff wirke und die weite Bequemlichkeit!

Sich nach der Mode des Tages und der Stunde sklavisch richten, ist eine Gehirnschwäche!

Eine weite Bluse aus englischem Zephir, mit kurzem Stehkragen und edler englischer Kravatte, ein Girardihut mit breitem seidenen Bande, ein fußfreier Glockenrock aus englischem Stoff, ein breiter weißer oder schwarzer Ledergürtel können niemals »aus der Mode kommen«. Was aus der Mode kommen kann, war nie wert, getragen zu werden von irgend jemand Kultiviertem, auch nur eine Stunde lang!

Sich nach der Mode richten, ist bereits tiefste Unkultur. Es beweist die Sklavennatur.

»Man trägt heuer ...« ist ein verbrecherisches Wort des Unkultivierten.

»Man trage ewig!« ist der Ausspruch des Kultivierten.[70]

Der »Großglocknererklimmer« hat seit Jahrhunderten dieselbe Ausrüstung, adaptiert für seinen bestimmten Zweck! Wir haben ebenso bestimmte Zwecke im Leben, Gipfel zu erreichen. Sollen wir uns da von der »Mode« feige verhindern lassen?!?

Überlassen wir das den »Gigerln«, denen die gar keine Zwecke und Ziele haben im Leben! Die mögen »der Mode fröhnen«! So sehr ein Mensch vom anderen sich unterscheidet, so sehr ein jeder eine mannigfaltige, besondere und eigentümliche Welt repräsentieren soll, ebensosehr soll die Kleidung eine erste Repräsentanz dieser eigenen Welt bilden. Nie wird eine »Persönlichkeit« fragen: »Was trägt man?!?« Sondern sie wird autoritativ sagen:

»Ich trage mich so!« Für jede Dame gibt es ihr ideales Kleid, ihren idealen Hut, ihre idealen Schuhe, ihren idealen Gürtel, ihren idealen Sonnenschirm. Welche Beeinträchtigung der edlen Mannigfaltigkeiten der Menschen, wenn man sich feig und skeptisch nach der Mode richtet!?!

Wie ein Gedicht gleichsam von selbst sich herauskomponiert aus einem bestimmten Dichterorganismus, so müßte jede Dame ihre Kleidung erdichten aus ihren ureigensten inneren Bestimmungen!

»Sie ist verrückt« ist dann ein Ehrentitel für »Mut seiner Persönlichkeit«. Die Farbe, die Form, die Gewebeart deiner Bluse, die Knöpfe oder Bänder daran seien so sehr dein Eigenstes, wie hundert andere Eigentümlichkeiten deines sonstigen Wesens!

»Fräulein Isabella, was tragen Sie da für eine merkwürdige Bluse?!?«

»Es ist die Isabellabluse!«[71]

»Aber dieser Schirmgriff, bitte?!?«

»Es ist der Isabellaschirmgriff!«

Sei, der du bist! – – –

Nicht mehr, nicht weniger. – – –

Aber der sei!

Und in allem und jedem![72]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 69-73.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Märchen des Lebens
Märchen des Lebens: Lesebuch