Vorstadtzimmer

[185] Sie hatte das bequeme Elternhaus verlassen, um frei zu sein. Dort hatte sie ein Zimmerchen gehabt, das auf den Fluß hinausging. Am Gartenufer lag ihre Segeljacht »Wohin?!« Sie hatte in Wien, Florianigasse 10, ein Zimmerchen gemietet für 40 Kronen. Sie konnte kommen und gehen, wann und wie sie es wünschte. Sie war ihre eigene Herrin. Niemand von ihrer Familie hätte es acht Tage lang in diesem einsamen altväterisch eingerichteten Vorstadtzimmer ausgehalten. Es ging nicht auf einen glitzernden Strom hinaus und nirgends waren Gärten mit Weidenbüschen und kleinen Holzstegen zum Anlegen. Aber für sie war es eine »Rast«. Eine Rast! Niemand durfte ihr gebieten: »So und so – – –!« Sie konnte den Ofen, ihren Ofen, einheizen lassen, wann und wie sie es wünschte. Manchmal stundenlang nur mit Holz, wie die Prinzessinnen – – –. »Ich wünsche heute nur mit Holz zu heizen – – –«, fühlte sie. »Und wenn es das Dreifache kostet!«

Die alte Vermieterin lebte von ihr. Sie sagte einmal bei einer Komplikation: »Wo werde ich wieder eine solche Mieterin finden, Fräulein – –?!?«

Das Fräulein erwiderte: »Es ist eigentlich das beste Kompliment, das wahrhaftigste, das man mir je im Leben gemacht hat – – –.«

Endlich mußte sie das Zimmerchen aufgeben. Sie war kränklich und man wollte sie verheiraten an einen ausgezeichneten verständnisvollen reichen Menschen, der sie betreuen würde wie ein Baby.

Da nahm sie denn Abschied von ihrem Zimmer.[185]

Sie legte sich einfach auf den Fußboden hin und weinte – – –.

Und sie sagte zu der verzweifelten alten Vermieterin: »Vermieten Sie es aber nur an einen, der es ebenso lieb haben könnte wie ich – – –.«

»Dös gibt's nicht auf der ganzen Welt«, sagte die alte Vermieterin.[186]

Quelle:
Peter Altenberg: Märchen des Lebens. Berlin 7–81924, S. 185-187.
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