|
[259] Ich kam Nachts an einem Einspännerstandplatze vorüber. Das heisst, ich kam eben nicht vorüber, sondern blieb tief erregt stehen, denn ein junger Kutscher malträtirte soeben sein Pferd und gab ihm überdies den Namen »Raben-Vieh«.
Ein älterer Kutscher jedoch, der gemüthlich auf einer kleinen Bank sass, sagte zu mir: »Sö, geh'ns ruhig schlafen und sag'ns, es war nix – – –!«
Ich hatte nicht die Absicht, ruhig schlafen zu gehen und bei dieser Gelegenheit zu sagen, dass nichts wäre; ich war im Gegentheile sehr unruhig und hatte die Ansicht, dass gerade jetzt etwas war, nämlich die Malträtirung eines unschuldigen Pferdes.
Der gemüthliche Kutscher auf der kleinen Bank sagte nun nochmals eindringlich zu mir: »Sie, Herr, incommodiren Sie sich nicht, gehen's ruhig schlafen und sagen's, es war nix – – –!«
Ich incommodirte mich jedoch, blieb auf meinem Platze, starrte den unbarmherzigen Hund an.
Da sagte der gemüthliche Kutscher auf der kleinen Bank: »Sö, wann ein Ross Kehrt macht wegen nix und vom Standplatz abweicht, hm, erlauben Sie mir?!?«[259]
Ich schwieg und starrte den Hund an, ohne überzeugt zu sein, dass das Pferd ein Verbrechen begangen habe;
»Sind Sie bald fertig?!?« sagte ich zu ihm.
Nein, er war noch nicht bald fertig, fragte das Pferd, ob es genug habe oder ob es noch mehr wolle, und da dasselbe durch einen Bocksprung anzudeuten schien, dass es noch mehr wolle, gab er ihm das Gewünschte.
Da sagte der gemüthliche Kutscher auf der Bank: »Ja, Sie, glauben Sie, wir wissen nicht, wer Sie sind?!? Dass Sie sich da so aufpflanzen?!? Ein Journalist sind Sie, jawohl!«
»Nein – – –,« sagte ich, »das bin ich nicht. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch – – –.«
»No, dann geht Sie die Geschichte einen Dreck an – – –,« erwiderte der gemüthliche Kutscher, »dös sag' i Ihnen!«
Ich war vollkommen überzeugt, dass er es zu mir sage und kein Anderer.
»Wer is er – – –?!?« sagte nun der malträtirende Hund und näherte sich mir so gewiss schleifend. »Was is er?! Wer is er?!?«
»Lass'n geh'n, er is ja net amal von der Press'!«
Da ging der Hund beruhigt und langsam zu seinem Pferde zurück, richtete ihm nun sorgsam mancherlei an den Riemen, streichelte es sanft und sagte ihm einige begütigende und entschuldigende Worte, gab ihm sogar den Namen »Schackerl«.[260]
Ich ging nun zu dem jungen Kutscher hin und schenkte ihm ohneweiters eine Krone. Dann sagte ich: »Pferde sind nervöse Thiere! Niemand kann wissen, was sie schreckt – –.«
»Dös is!« sagte der Kutscher, »es sind nerviöse Thiere!«
Der gemüthliche Kutscher auf der Bank dachte: »Begehrt auf mit Unsereinem und is net amal von der Press' – – –.«
Der junge Kutscher hingegen war herzlich froh, dass er es mit einem ganz gewöhnlichen Menschen von gemeinverständlicher Philosophie zu thun gehabt hatte – – –.
Eine entzückende junge Dame in einer hellblauen Sürah-Blouse, die einsam und verlassen in der dunklen Nacht dastand und den ganzen Vorgang in tiefer Ergriffenheit beobachtet hatte, sprach mir nun in herzlichen Worten ihre Bewunderung aus und beschloss, mir, dem Beschützer der Geknechteten, für einen Pappenstiel von 2 Gulden, das Geleite zu geben durch die dunkle Nacht – – –.[261]
Ausgewählte Ausgaben von
Wie ich es sehe
|