Bei dem Photographen
(Man erfährt den Namen des Revolutionärs.)

[153] Sonntag Vormittag. Sie gingen zusammen zum Photographen. Sie machten lange feine Schritte. Er trug einen Cylinder, the Elite, finest quality, Manchester, sie Rohseide mit goldener Seide bestickt und ein gelbes Hütchen mit goldenen Seiden-Pommerln.

Andere Leute machen Landparthieen, stürzen zu den Tramway's, die lieblich klingeln, oder steigen elastisch, schwingen sich gleichsam, in lackriechende Fiaker und fahren hinaus »diniren«. Draussen haben die Laubbäume hellgrüne Knöpfchen und die Luft ist balsamisch, gereinigt, wie die Haut nach einem Bade.

Diese Beiden aber gingen mit langen feinen Schritten zum Photographen.

Es war wunderschön, ausserordentlich gemüthlich, so auf den schattigen Trottoiren hinzuschreiten.

»Die Stadt hat auch ihre Poesie – – –« dachte sie gleichsam zur Entschuldigung.

Da kam Albert Königsberg, furchtbar légère angezogen, grau in grau.

»Der hält Nichts von Uns – – –« dachten die Beiden, aber bequem geht er angezogen. Das hat er von seiner Freiheit. Er ist ein Aggressiver, wozu?! »Heda, was seid Ihr – – –?!« heisst es immer bei ihm.

Das steht sogar auf seiner grauen Krawatte geschrieben. Wie ist sie geschlungen?! à la Königsberg![153] »Guten Morgen, Königsberg!«

»Wir gehen zum Photographen – – –« sagte die Dame, »kommen Sie mit!«

Eigentlich genirten sie sich jetzt, zum Photographen zu gehen. Es war nicht mehr diese leichte dumme Freude. Sie hätten lieber gesagt: »Wir fahren auf's Land, in die Natur – – –.«

»Sie machen lange feine Schritte, Fräulein – –« sagte Königsberg, »Sie sind wie ausgeturnt, die Beine schreiten aus, der Oberkörper bleibt ruhig, vornehm. Ihr schreitet ein festgefügtes Duo.«

»Wie mild Du heute bist – – –« sagte der junge Bräutigam und war misstrauisch wie ein Apache-Häuptling.

Der eine Part des Duo kaufte bei einem Weibe dunkle Rosen und gab sie dem Prim-Part.

Er hatte drei Empfindungen: »Zwei Kronen in dieser warmen Jahreszeit für Rosen?!« und »Es macht Dir Vergnügen« und »Was hält Königsberg eigentlich davon?! Bin ich der ›Poesie‹ zugänglich oder ist es verächtlich?!«

Königsberg dachte: »Sie hat elastische Beine, diese junge Braut – – –.«

Beim Photographen roch es nach »Photographen«. Die Tapeten waren japanisch und Alles war wie bei einem genialen Tapezirer.

»Wir gehören doch zur Kunst, doch und doch –« schrieen diese überladenen Räume. Sie mussten eben ein Übriges thun und vor künstlerischem Geschmacke strotzen.[154]

Das Duo stieg langsam die schmale Holztreppe hinauf in's Allerheiligste mit den Glaswänden und den blauen Vorhängen.

Königsberg sass unten in einem Prachtfauteuil und hielt die Rosen der Braut auf seinem Schoosse.

»Die Stengel sind warm von ihrer Hand – –« fühlte er.

»Da stehen sie oben« dachte er, »und der Charlatan richtet sie zur Liebes-Pose her, légère und doch zärtlich – – –.«

Die Butzenscheibenfenster standen offen und in dem kleinen Gartenhofe sprang ein blondes verwachsenes Mädchen über eine Springschnur, die zwischen einem Baume und einem Sessel befestigt war. In dieser Bewegung war ihr Glück. – – –.

Königsberg begann zu träumen – – –.

»Ich würde den Kopf der Braut bis knapp zum Hals photographiren lassen – – –.« Und dann dachte er sich etwas sehr Excentrisches aus – – –.

Endlich kamen die Beiden herunter.

Er war wie nach einem lateinischen Pensum, exhaustus.

Er dachte: »Wenn es Ihr Vergnügen macht –.«

»Ich habe mich im Profile aufnehmen lassen« sagte sie, »ich will wenigstens auf den Bildern hübsch sein – – –.«

Sie sagte das ganz frei, so wie ihr Gang war –.

»Königsberg, welcher von diesen Köpfen entspricht Ihrem Ideale?!« sagte sie.[155]

Der Bräutigam dachte: »He, ich habe eine gebildete Braut – – –.«

Königsberg nahm ein Bild von dem Tische.

»Das ist ja ein Kind von zwölf Jahren – – –« sagte sie.

»Ja – –« sagte er einfach. »Ist das nicht ein Mensch?! Vielleicht nur dieses

Sie betrachtete das Bild und legte es weg.

Dann nahm sie es wieder – –: »Ein Kind – –. Aber schön ist es.«

»Gehen wir – –« sagte der Bräutigam, »hier ist keine Ausstellung – –.«

»Meine Rosen – –« sagte sie.

Sie lagen auf dem Fauteuil.

»Er hält Nichts von Uns – – –« dachte der Apachehäuptling, »ist es ein gesunder Umgang?!«

Sie gingen wieder auf den schattigen Trottoirs. Vor den Caféhäusern standen dunkle Oleanderbäume und in der Ferne klingelten die Tramway's.

Beim Abschied sagte Königsberg: »bitte, grüssen Sie Ihre liebe Schwester von mir – – –.«

Sie nickte.

»Richte den Gruss nicht aus – – –« sagte der Bräutigam, als sie allein waren.

»Königsberg lässt Dich herzlich grüssen – – –« sagte sie zu ihrer bleichen Schwester und küsste sie zärtlich.[156]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 153-157.
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