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[136] Mein Freund!
Vertrau'n, Vertrau'n, wer giebt es mir?! Der Mensch?! Das Wort?! Der Blick?! Die That?! Mein Wunsch und meine Sehnsucht?! Das, was in Dir ist oder was in mir?! Wenn es nicht ist, wie machst Du, dass es sei?!
Ihre Briefe, Ihre Liebe, mein Freund, sind fast zu schön, um wahr, wirklich zu sein.
Wie in himmlischer Glorie strahlt Alles!
Ich habe die Empfindung: »Deine menschliche Verehrung ist die nachgeborene bleiche Tochter rosiger künstlerischer Begeisterung!« Aus Höhen kam es, fühl' ich, ja, aus Höhen! Aus deinen Höhen, Albert, nicht aus meinen!
Aber die künstlerische Begeisterung hat andere, hat höhere Zwecke als den Menschen mit seinen Unzulänglichkeiten, ja, sie hasst ihn, wenn er sie hemmt und stört, sie liebt ihn nur, wenn er sie fördert! Und so erlebt dieser ein Leid, das ihm die gütige Natur im voraus, warnend, als Misstrau'n in die Seele senkte. So kommt's zum Leben, davon lebt es, Herr!
Glauben Sie mir, Albertus, die Welt, deren Sonne Sie mich nennen, die Welt, in die Sie sich träumend eingesponnen, ist Ihnen theurer als der Mensch, der diese ihre schöne Welt erweckte. Wehe der Armen, die ihre »Sonnen-Mission« anders erfasste und sich in kindlich heldenhafter Kühnheit eine andere je zutraute![136] Für Künstlermenschen muss das Weib aus dämmerigen Fernen ihren milden geheimnissvollen Schein verbreiten. Petrarka's Laura, Tasso's Lenore, Diotima, Vittoria Colonna, sie standen fern und darum ewig nah!
Was im wirklichen Leben die Erfüllung, das ist im künstlerischen der Tod!
Je ferner Du ihm bleibst, desto tiefer erfüllst Du seine Seele, desto näher bist Du ihm. Und nahst Du Dich, so rückst Du in die Ferne!
Sei wie der Lerchensang, der den Frühling in's Land ruft – – – – –
Wenn Alles blüht, mag er verstummen, sterben – – –!
An seinem Frühlings-Saftstrom mögen Wir Antheil haben – – –. Des Sommers reife Frucht zeugt Er allein!
Wir aber wollen leben, leben, und nach den Frühlingstürmen unseren Sommerfrieden haben!
Und wieder nicht. So schön zu sterben ist vielleicht ein Leben! Vielleicht ist's menschlicher, dass unser Seelen-Tod sein künstlerisches Leben, als dass sein Künstler-Tod für Uns das Leben sei.
Und doch – – – Wir wollen leben, leben, denn das Leben liegt in Uns.
Ah, Künstlermensch, Vampyr, such' deine Opfer unter Jenen, die Nichts mehr zu gewinnen, Nichts zu verlieren haben!
Und dennoch wieder, was sind Wir jenen Anderen?! Mich schaudert – – –.[137]
Wir können nicht hinauf mehr, noch zurück. Erbarmen!
Doch wie zusammenkommen?! Wie vertrau'n?!
Sie wollen einen Traum – – – und Wir ein Leben. Wenn Ihr erwacht, so habt Ihr nur geträumt. Ein neuer Traum beginnt ein neues Leben!
Wenn Wir erwachen, haben Wir gelebt! Dann kommt das Sterben – – –.
Wir aber wollen leben, leben, leben, da doch das Leben in Uns liegt und träumt vom Wachen!
Und unser Leben ist ein Jahr. Ein Frühling nur, auf den ein Sommer folgt und dann die Frucht, in Lebens-Lust gezeugt, in Lebens-Müh' gezogen, und dann Winter.
So sind Wir arm. Ihr aber, Ihr seid reich! Ein Frühling folgt dem ander'n, reifem Sommer folgt ein todter Herbst, doch lass' es nur, gleich kommt ein anderer wieder, der lebendigen bringt. Und immer kann es wieder Winter in Euch werden und immer Frühling. So lebt Ihr hin – – –. Da können Wir nicht mit und müssen sterben – – –.
Ruhe thut Noth und Sammlung – – –.
Wo führt mein Weg?! Wer weist mir meine Bahn?! Wer zeigt mir meinen Stern?! Wer meine Erde?!
Der nur das Leben träumt, kann mir nicht Leben geben – – –. Und der es lebt, der nimmt mir meinen Traum!
In Uns allein ist Traum und Leben Eines!
Doch euer Zwiespalt löst die Einheit Uns![138] Wohin verirr' ich mich?! Albertus – – –! Oh, Albertus!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Sei wie der Lerchensang, der den Frühling in's Land ruft – – – – –.
Wenn Alles blüht, mag er verstummen, sterben – – –.
Wir aber wollen leben, leben!!
Marthe-Marie.
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