Schlehdornzweig

[291] Anfangs Juli, an einem Feiertage.

Es war ein Gekribbel von Menschen, wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen. Auch so lange gedrängte Kolonnen von Kommenden und Gehenden. In dem wunderbaren weiten Alleen-beschnittenen herzoglichen Parke.

Alles war so wohlgepflegt und wohlbehütet, so sicher bewahrt vor der dummen Leidenschaft der Kinder und der Kindlichen!

Da brach die Herrliche einen Zweig von Schlehdorn ab.

Der Dichter sagte ihr sogleich: »Wenn jeder hier einen solchen Zweig sich bräche, wäre der wunderbare Garten in einer Stunde devastiert!

Sie schwieg. Sie begehrte auf mit der Weltordnung, setzte ihren Willen auf den Thron!

Dann sagte er: »Wir müssen beim Hauptthore an den herzoglichen Gendarmen vorüber. Werfen Sie doch, bitte, den Zweig weg!«

»Ich mag es nicht. Er ist schön und ich behalte ihn. Ich mag ihn gern – – –«

»Es steht nicht dafür, mit der Welt und ihren immerhin soliden Einrichtungen aufzubegehren wegen eines Schlehdornzweiges!?! Werfen sie ihn doch weg!«[291]

»Pfui, P.A., Sie haben keinen Sinn für Freiheit, Sie sind feig! Ich mag Sie nicht!«

Er schwieg. Sie ging mit ihrem Schlehdornzweige.

Beim Hauptthore stand ein langer junger Gendarm. Er sah den Zweig in der Hand der Herrlichen, wandte sich momentan, fast verlegen, nach einer anderen Seite um.

Wir kamen über den weiten edlen Vorplatz.

»Nun, sehen Sie?!?« sagte sie.

Er schwieg. Sie stiegen in den Wagen, fuhren zur Stadt.

Er sagte: »Wenn jeder von den Besuchern des wunderbaren Parkes sich einen solchen Zweig bräche, wäre dieser in einer Stunde devastiert!«

Sie sass triumphierend da und spielte mit ihrem Schlehdornzweige.

Sie war wunderbar schön, so kindisch-siegreich-trotzig.

Er dachte: »Wesshalb, Süsseste, hat man dir deinen Hintern nicht durchgehaut, seinerzeit?!? Heute freilich wäre es bereits schade – – –[292]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 291-293.
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