[418] Man hätte wahrlich glauben mögen, daß in dem Dorfteiche etwas im Werke sei, aber da irrte man sich! Alle Enten, wie sie gerade auf dem Wasser lagen, oder auf dem Kopfe standen, denn das konnten sie, schwammen auf einmal an das Land; im nassen Lehmboden konnte man die Spuren von ihren Füßen sehen und sie schon von weitem schreien hören. Das Wasser kam stark in Bewegung, kurz zuvor war es hell wie ein Spiegel, man erblickte darin jeden Baum, jeden Busch in der Nähe, und das alte Bauernhaus mit den Löchern im Giebel und dem Schwalbenneste, aber namentlich den großen Rosenstrauch voller Blumen, welcher von der Mauer über das Wasser hinaus hing, und das Ganze stand gleich einem Gemälde darin, aber alles auf dem Kopfe. Als das Wasser aber unruhig wurde, da lief das eine in das andere, das ganze Bild war fort. Zwei Entenfedern, die den auffliegenden Enten entfielen, schaukelten auf und nieder, gerade, als ob es windig wäre; aber es war gar kein Wind, und dann lagen sie stille, das Wasser wurde wieder spiegelglatt. Man sah deutlich den Giebel mit dem Schwalbenneste und erblickte den Rosenstock; jede Rose spiegelte sich, sie waren sehr schön, aber sie selbst wußten es nicht, denn niemand[419] hatte es ihnen gesagt. Die Sonne schien zwischen die feinen Blätter hinein, die mit Duft gefüllt waren; und es war einer jeden Rose gerade wie es uns ist, wenn wir, in Gedanken versunken, uns recht glücklich fühlen.
»Wie schön ist das Dasein!« sagte jede Rose. »Das einzige, was ich wünschen möchte, wäre, daß ich die Sonne küssen könnte, weil sie so warm und klar ist. – Ja, die Rosen dort unten im Wasser möchte ich auch küssen; sie gleichen uns ganz genau. Ich möchte die süßen, jungen Vögel dort unten im Neste küssen; ja es giebt auch viele oben über uns; sie stecken die Köpfe heraus und piepen ganz leise, sie haben gar keine Federn, wie ihr Vater und ihre Mutter. Das sind gute Nachbarn, die wir haben, sowohl die über, wie die unter uns. O, wie schön ist das Dasein!«
Die kleinen Jungen oben und unten – die unten waren nur der Wiederschein im Wasser – waren Sperlinge, Vater und Mutter waren Sperlinge; sie hatten das verlassene Schwalbennest vom vorigen Jahre eingenommen, in diesem lagen sie und waren zu Hause.
»Sind das Entenkinder, die dort schwimmen?« fragten die jungen Sperlinge, als sie die Entenfedern auf dem Wasser treiben sahen.
»Fragt vernünftig!« sagte die Mutter. »Seht Ihr denn nicht, daß es Federn sind, lebendiges Kleiderzeug, wie ich es habe und wie Ihr es bekommen werdet, aber unseres ist feiner! Ich wollte übrigens, wir hätten sie hier oben im Neste, denn sie wärmen. Ich möchte wissen, worüber die Enten so erschraken! Da muß etwas im Wasser gewesen sein, denn ich war es sicher nicht, obgleich ich freilich etwas laut ›Piep‹ zu Euch sagte! Die dickköpfigen Rosen müßten es wissen, aber die wissen gar nichts, die sehen sich nur selbst an und riechen. Es sind mir recht langweilige Nachbarn!«
»Hört die lieben, kleinen Vögel dort oben!« sagten die Rosen, »sie wollen jetzt auch anfangen zu singen! – Sie verstehen[420] es noch nicht recht, aber es wird schon kommen! – Was das für ein großes Vergnügen sein muß! Es ist recht ergötzlich, solche lustige Nachbarn zu haben!«
Gleichzeitig kamen zwei Pferde im Galopp an, sie sollten getränkt werden; ein Bauernknabe saß auf dem einen, und er hatte alle seine Kleider, seinen schwarzen, großen und breiten Hut ausgenommen, abgelegt. Der Knabe pfiff gerade, als wenn er ein kleiner Vogel wäre, und ritt dann in die tiefste Stelle des Teiches; und als er zum Rosenstock herüber kam, riß er eine der Rosen ab und steckte sie auf den Hut, so glaubte er recht geputzt zu sein, und ritt dann damit fort. Die andern Rosen blickten ihrer Schwester nach und fragten einander: »Wohin reist sie?«, aber das wußte keine.
»Ich möchte wohl in die Welt hinaus!« sagte die eine Rose zur andern; »aber hier zu Hause in unserm eigenen Grünen ist es auch schön! Am Tage scheint die Sonne warm und nachts glänzt der Himmel noch schöner; das können wir durch die vielen, kleinen Löcher sehen, die darin sind!«
Das waren die Sterne, von denen sie glaubten, jeder sei ein Loch; die Rosen wußten es nicht besser!
»Wir beleben ringsum das Haus,« sagte die Sperlingsmutter, »und Schwalbennester bringen Glück, sagen die Leute, deshalb freuen sie sich, uns zu haben. Aber jene Nachbarn dort, so ein ganzer Rosenstrauch an der Mauer hinauf, verursacht Feuchtigkeit. Ich hoffe, er wird wohl fortgeschafft werden, dann kann doch Korn da wachsen. Rosen sind nur zum Ansehen und daran zu riechen, oder höchstens sie auf den Hut zu stecken. Jedes Jahr, das weiß ich von meiner Mutter, fallen sie ab, die Bauerfrau legt sie mit Salz ein, sie bekommen einen französischen Namen, den ich nicht aussprechen kann, und um den ich mich auch nicht kümmere; und dann werden sie aufs Feuer gestreut, wenn es gut riechen soll. Sieh! das ist nun ihr Lebenslauf! Sie sind zu nichts als für Augen und Nase da. Nun wißt Ihr es!«[421]
Als es Abend wurde und die Mücken in der warmen Luft tanzten, wo die Wolken schön rot waren, kam die Nachtigall und sang den Rosen vor, daß das Schöne dem Sonnenschein in dieser Welt gleiche, und das Schöne ewig lebe. Die Rosen aber glaubten, daß die Nachtigall sich selbst besinge, und das konnte man ja auch denken. Es fiel ihnen gar nicht ein, daß sie es waren, denen der Gesang galt, sie freuten sich aber darüber und sannen nach, ob nicht alle die jungen Sperlinge auch zu Nachtigallen werden könnten.
»Ich verstand sehr wohl, was der Vogel sang!« sagten die jungen Sperlinge; »da war nur ein Wort, welches ich mir nicht erklären kann: Was ist das Schöne?«
»Das ist nichts,« sagte die Sperlingsmutter, »das ist nur so ein Schein. Oben auf dem Rittergute, wo die Tauben ihr eigenes Haus haben und jeden Tag Erbsen und Korn in den Hof gestreut bekommen – ich habe mit ihnen gegessen und dazu sollt Ihr auch gelangen: Sage mir, mit wem Du umgehst, und ich werde Dir sagen, wer Du bist – dort oben auf dem Herrengute halten sie zwei Vögel mit grünen Hälsen und einem Kamm auf dem Kopfe; ihr Schweif kann sich ausbreiten, als wäre er ein großes Rad, und er hat alle Farben, sodaß einem die Augen schmerzen, Pfaue werden sie genannt, und sie sind das Schöne! Sie sollten ein wenig gerupft werden, dann würden sie nicht anders aussehen, als die andern. Ich würde sie gebissen haben, wenn sie nicht so groß gewesen wären!«
»Ich will sie beißen!« sagte der kleinste der jungen Sperlinge, und er hatte noch keine Federn.
Im Bauernhofe wohnten zwei junge Leute, die liebten sich sehr, waren recht fleißig und flink, und es sah niedlich bei ihnen aus. Am Sonntagmorgen kam die junge Frau heraus, nahm eine ganze Hand voll der schönsten Rosen, stellte sie in ein Wasserglas und setzte dieses mitten auf den Schrank.
»Nun sehe ich, daß es Sonntag ist!« sagte der Mann, küßte seine liebe Frau, und dann setzten sie sich nieder, lasen[422] einen Psalm, hielten einander bei den Händen, und die Sonne schien zu den Fenstern hinein auf die frischen Rosen und auf die jungen Leute.
»Dieser Anblick langweilt mich!« sagte die Sperlingsmutter, welche aus dem Neste gerade in die Stube hineinsah; und dann flog sie davon.
Dasselbe that sie am folgenden Sonntage, denn jeden Sonntag wurden frische Rosen in das Glas gestellt, und immer blühte die Rosenhecke gleich schön. Die jungen Sperlinge, welche jetzt Federn bekommen hatten, wollten gern mitfliegen, aber die Mutter sagte: »Ihr bleibt hier!« und so blieben sie. – Sie flog, doch wie es sich nun auch zugetragen haben mag, genug, auf einmal hing sie in einer Vogelschlinge aus Pferdehaaren, welche einige Knaben an einen Zweig befestigt hatten. Die Pferdehaare schlangen sich fest um das Bein zusammen, so fest, als ob es zerschnitten werden sollte. Das war eine Pein, das war ein Schreck; die Knaben sprangen darauf zu und ergriffen den Vogel, und sie griffen ihn schrecklich hart an. »Das ist nichts weiter als ein Sperling!« sagten sie, aber sie ließen ihn doch nicht wieder fliegen, sie gingen mit demselben nach Hause, und jedesmal, wenn er schrie, schlugen sie ihn auf den Schnabel.
Im Bauernhof stand ein alter Mann, welcher Seife zum Bart und zu den Händen, Seife in Kugeln und Seife in Stücken anzufertigen verstand. Es war ein herumwandernder, lustiger Alter und als er den Sperling erblickte, mit welchem die Knaben daherkamen, und aus dem, wie sie sagten, sie sich nichts machten, fragte er: »Wollen wir ihn schön machen?« Und es schauerte der Sperlingsmutter, als er das sagte. Aus seinem Kasten, worin die schönsten Farben lagen, nahm er darauf eine ganze Menge glänzendes Schaumgold, die Knaben mußten ein Ei herbeischaffen, davon nahm er das Weiße und bestrich den ganzen Vogel damit. Dann klebte er Schaumgold darauf, so war die Sperlingsmutter vergoldet, sie aber dachte nicht an[423] den Staat, sie zitterte an allen Gliedern. Und der Seifenmann nahm einen roten Lappen, er riß ihn aus dem Futter seiner alten Jacke, schnitt den Lappen zu einem gezackten Hahnenkamme aus und klebte denselben auf den Kopf des Vogels fest.
»Jetzt sollt Ihr den Goldvogel fliegen sehen!« sagte er und ließ den Sperling los, welcher in der schrecklichsten Angst in dem klaren Sonnenschein dahinflog. Nein, wie der glänzte! Alle Sperlinge, ja sogar eine große Krähe, und zwar nicht eine von diesem Jahre, wurden ganz erschrocken über diesen Anblick, aber sie flogen doch hinterdrein, denn sie wollten wissen, was das für ein fremder Vogel sei.
»Woher? Woher?« schrie die Krähe.
»Wart' ein bißchen! wart' ein bißchen!« sagten die Sperlinge. Aber sie wollte nicht warten; von Angst und Schrecken ergriffen, flog sie nach Hause; sie war nahe daran, ermattet zur Erde zu sinken und immer kamen mehr Vögel hinzu, kleine und große; einige flogen gerade auf sie zu, um auf sie loszuhacken. »Seht den! Seht den!« schrieen alle.
»Seht den! Seht den!« schrieen die Jungen, als sie auf das Nest zukam. »Das ist gewiß ein junger Pfau, da sind alle Farben, welche in die Augen stechen, wie die Mutter sagte. Piep! Das ist das Schöne!« Dann hackten sie mit ihren kleinen Schnäbeln, sodaß es ihr nicht möglich war, hineinzuschlüpfen, und sie war vor Schrecken so ermattet, daß sie nicht mehr »Piep«, viel weniger: »Ich bin ja Eure Mutter!« sagen konnte. Die andern Vögel hackten nun alle auf sie ein, sodaß sie alle Federn verlor, und blutig sank die Sperlingsmutter in den Rosenstrauch hinab.
»Das arme Tier!« sagten die Rosen. »Komm, wir wollen Dich verbergen! Lehne Dein Köpfchen an uns an!«
Die Sperlingsmutter breitete noch einmal die Flügel aus, drückte sie dann wieder fest an sich, und war bei der Nachbarfamilie, den frischen, schönen Rosen, gestorben.
»Piep!« sagten die jungen Sperlinge im Neste, »wo nur[424] die Mutter bleiben mag, das kann ich gar nicht begreifen. Es soll doch nicht etwa ein Pfiff von ihr sein, damit wir uns selbst ernähren und für uns sorgen sollen? Das Haus hat sie uns als Erbteil hinterlassen, aber wer von uns soll es allein besitzen, wenn wir Familie bekommen?«
»Ja, ich kann Euch anderen nicht hier behalten, wenn ich mein Hauswesen mit Frau und Kindern erweitere!« sagte der kleinste.
»Ich bekomme wohl mehr Frauen und Kinder als Du!« sagte der zweite.
»Ich bin der älteste!« sagte ein dritter. Alle fingen an, sich zu schelten, sie schlugen mit den Flügeln, hackten mit den Schnäbeln, und bums, wurde das eine nach dem andern aus dem Neste gepufft. Da lagen sie, und böse waren sie noch; den Kopf hielten sie ganz auf die eine Seite und blinzelten mit dem Auge, welches nach oben gekehrt war; das war so ihre Art zu schmollen.
Ein wenig konnten sie fliegen, und dann übten sie sich noch etwas mehr, und zuletzt kamen sie überein, daß sie, um sich wieder zu erkennen, wenn sie sich später in der Welt begegnen sollten, Piep! sagen und dreimal mit dem linken Fuß kratzen wollten.
Der Junge, welcher im Nest zurückgeblieben war, machte sich so breit, wie er nur konnte, er war ja nun Hauseigentümer, aber lange währte es nicht. – In der Nacht leuchtete das rote Feuer durch die Fenster, die Flammen schlugen unter dem Dache hervor, das dürre Stroh loderte auf, das ganze Haus verbrannte, und der junge Sperling mit, die jungen Leute aber kamen glücklich davon.
Als die Sonne am nächsten Morgen wieder aufgegangen war und alles wie nach einem sanften Nachtschlaf erquickt schien, war von dem Bauernhofe weiter nichts übrig geblieben, als einige schwarze, verkohlte Balken, die sich gegen den Schornstein anlehnten, der nun sein eigener Herr war. Aus dem Grunde[425] erhob sich noch starker Rauch, aber vor demselben stand frisch und blühend der ganze Rosenstrauch, der jeden Zweig und jede seiner Blumen in dem ruhigen Wasser spiegelte.
»Wie schön stehen die Rosen vor dem abgebrannten Hause!« rief ein Mann, welcher daherkam, aus. »Das ist das lieblichste kleine Bild, das muß ich haben!« Der Mann zog aus der Tasche ein kleines Buch mit weißen Blättern hervor, und nahm seine Bleifeder, denn er war ein Maler, und zeichnete dann den rauchenden Schutt, die verkohlten Balken gegen den überhängenden Schornstein, denn dieser neigte sich mehr und mehr, aber vorn stand der große, blühende Rosenstrauch, der war wahrhaftig schön und war ja auch allein Veranlassung, daß das Ganze gezeichnet wurde.[426]
Später am Tage kamen zwei Sperlinge vorbei, die hier geboren waren. »Wo ist das Haus?« sagten sie. »Wo ist das Nest? – Piep! Alles ist verbrannt und unser starker Bruder ist mit umgekommen; das hatte er davon, daß er das Nest behielt. – Die Rosen sind gut davon gekommen, die stehen noch mit roten Wangen da. Sie trauern also nicht über des Nachbars Unglück. Ich spreche nicht mit ihnen, und häßlich ist es hier, das ist meine Meinung!« Dann flogen sie fort.
Spät im Herbst gab es einen schönen, sonnenhellen Tag, man hätte glauben können, man sei noch mitten im Sommer. Es war trocken und rein im Hofe vor der großen Treppe beim Edelmann, und da gingen die Tauben, sowohl schwarze als weiße und bunte, sie glänzten im Sonnenschein und die alten Taubenmütter sagten zu den Jungen: »Steht in Gruppen, Kinder! Steht in Gruppen, Kinder!« denn so nahmen sie sich weit besser aus.
»Was ist das kleine graue, was hier zwischen uns herumläuft?« fragte die alte Taube, welche rot und grün in den Augen hatte. »Kleine Graue, kleine Graue!« sagte sie.
»Das sind Sperlinge, gute Tierchen! Wir haben stets in dem Ruf gestanden, gutmütig zu sein, darum wollen wir ihnen auch gestatten, etwas mit aufzulesen! – Sie sprechen nicht mit und kratzen so niedlich mit dem Fuße.«
Ja, sie kratzten, dreimal kratzten sie mit dem linken Fuße, aber sie sagten auch piep! Und dann erkannten sie sich; es waren drei Sperlinge vom abgebrannten Hause.
»Hier ist außerordentlich gut fressen!« sagten die Sperlinge. Und die Tauben gingen um einander herum, brüsteten sich und hatten ihre Ansicht inwendig.
»Siehst Du die Kropftaube?« sagte die eine Taube zu der andern. »Siehst Du, wie sie Erbsen verschluckt? Sie bekommt zu viel; sie bekommt die besten! Kurr, kurr! Siehst Du, wie die da kahl im Kamme wird, siehst Du das häßliche, das boshafte Tier? Kurre kurre!« Und ganz rot funkelten[427] aller Augen vor Bosheit. »Steht in Gruppen, steht in Gruppen! Kleine Graue, kleine Graue! Kurre, kurre, kurre!« So ging es in einem fort unter den sanften Tauben und Täubchen, und so geht es wohl noch nach tausend Jahren.
Die Sperlinge fraßen gut, und sie hörten gut, ja, sie stellten sich sogar mit auf, aber das stand ihnen nicht gut. Zuletzt waren sie satt und gingen von den Tauben weg und äußerten gegenseitig ihre Meinung über dieselben, hüpften dann unter den Gartenzaun, und da die Thür zum Gartenzimmer offen stand, hüpfte der eine auf die Thürschwelle, er war übersatt und deshalb mutig. »Piep!« sagte er; »das wage ich!« – »Piep!« sagte der zweite, »das wage ich auch, und noch etwas mehr!« Und dann hüpfte er in das Zimmer hinein. Es befanden sich keine Leute darin, das sah der dritte wohl, und dann flog er noch weiter in das Zimmer hinein und sagte: »Ganz oder gar nicht! Dies ist übrigens ein sonderbares Menschennest, und was ist hier aufgestellt, was ist das?«
Gerade vor den Sperlingen blühten die Rosen, sie spiegelten sich im Wasser, und die verkohlten Balken lagen gegen den gebrechlichen Schornstein! – Wie war doch das, und wie kam das in das Zimmer des Rittergutes?
Alle drei Sperlinge wollten über die Rosen und den Schornstein hinfliegen, aber ihr Flug wurde gehemmt, es war eine flache Wand, gegen die sie anflogen. Das Ganze war ein Gemälde, ein großes, prächtiges Stück, welches der Maler nach seiner kleinen Zeichnung gemacht hatte.
»Piep!« sagten die Sperlinge, »es ist nichts, es sieht nur so aus! Piep! Das ist das Schöne! Kannst Du das begreifen? Ich kann es nicht!« Und dann flogen sie davon, denn es kamen Menschen in das Zimmer.
Nun vergingen Jahr und Tag, die Tauben hatten vielmal gekurrt, um nicht zu sagen geknurrt, die boshaften Tiere. Die Sperlinge hatten den Winter über gefroren und den Sommer hindurch lustig gelebt; sie waren alle verlobt oder[428] verheiratet. Junge hatten sie, und das eines jeden war natürlich das schönste und klügste von allen; der eine flog hierhin, der andere dorthin, und begegneten sie sich, dann erkannten sie sich gegenseitig am: »Piep!« und dem dreimaligen Kratzen mit dem linken Fuße. Die älteste von ihnen war nun ein altes Sperlingsfräulein, sie hatte kein Nest und auch keine Jungen; sie wollte gern einmal nach einer großen Stadt, und darum flog sie nach Kopenhagen.
Da lag ein großes Haus mit vielen Farben dicht beim Schlosse und am Kanal, wo sich Schiffe mit Äpfeln und Töpfen befanden. Die Fenster waren unten breiter als oben, und guckten die Sperlinge da hinein, so war eine jede Stube, wie es ihnen vorkam, gerade als ob sie in eine Tulpe hineinblickten, sie sahen alle möglichen Farben und Schnörkel; und mitten in der Tulpe standen weiße Menschen, die waren von Marmor, einige von ihnen waren auch von Gips, doch für Sperlingsaugen bleibt sich das gleich. Oben auf dem Hause stand ein Metallwagen mit Metallpferden davor, und die Siegesgöttin, auch von Metall, lenkte sie. Es war Thorwaldsens Museum.
»Wie das glänzt, wie das glänzt!« sagte das Sperlingsfräulein, »das ist sicher das Schöne. Piep! Hier ist es doch größer als ein Pfau!« Sie gedachte von ihrer Kindheit her, was das größte Schöne sei, welches ihre Mutter gekannt hatte. Und sie flog gerade in den Hof hinab; dort war es auch prächtig, da waren Palmen und Zweige an die Mauern gemalt, und mitten im Hof stand ein großer, blühender Rosenstrauch, der breitete seine frischen Zweige mit den vielen Rosen über ein Grab hin. Sie flog dorthin, wo mehrere Sperlinge gingen. »Piep!« und drei Kratze mit dem linken Fuß; diesen Gruß hatte sie manchesmal in Jahr und Tag gemacht, und keiner hatte ihn verstanden, denn die, welche einmal getrennt sind, treffen sich nicht an jedem Tage wieder. Dieser Gruß war ihr aber zur Gewohnheit geworden, und heute waren da zwei alte[429] und ein junger Sperling, welche »Piep!« sagten und mit dem linken Fuße schabten.
»Ei, sieh, guten Tag, guten Tag!« Es waren drei alte aus dem Sperlingsneste und noch ein kleiner zur Familie gehörender. »Treffen wir uns hier?« sagten sie. »Das ist ein vornehmer Ort, aber hier ist nicht viel zu fressen. Das ist das Schöne! Piep!«
Da kamen viele Leute aus den Seitengemächern, wo die prächtigen Marmorgestalten standen, und sie gingen nach dem Grabe, welches den großen Meister barg, der die Marmorbilder gemacht hatte, und alle, die da kamen, standen mit leuchtendem Antlitz um Thorwaldsens Grab. Einzelne sammelten die abgefallenen Rosenblätter auf und bewahrten diese. Da waren Leute aus weiter Entfernung, sie kamen aus England, aus Deutschland und Frankreich; und die schönste Dame nahm eine der Rosen und barg sie an ihrem Busen. Da glaubten die Sperlinge, daß die Rosen hier regierten, daß das Haus ihretwegen gebaut sei, und das schien ihnen freilich etwas zu viel zu sein; da aber die Menschen alle viel Liebe für die Rosen zeigten, so wollten sie nicht zurückstehen. »Piep!« sagten sie, und fegten den Fußboden mit ihren Schwänzen und blinzelten mit dem einen Auge nach den Rosen; kaum sahen sie hin, so hatten sie sich überzeugt, daß es die alten Nachbarn seien, und das waren sie auch. Der Maler, welcher den Rosenstrauch neben dem alten, abgebrannten Bauernhofe zeichnete, hatte später gegen Ende des Jahres die Erlaubnis erhalten, denselben auszugraben, und hatte ihn dann dem Baumeister gegeben, denn schönere Rosen waren nirgends zu finden; der Baumeister hatte sie auf Thorwaldsens Grab gesetzt, wo sie, als Bild des Schönen, blühten und feine, rote, duftende Blätter gaben, die zur Erinnerung nach fernen Landen getragen wurden.
»Habt Ihr hier in der Stadt eine Anstellung erhalten?« fragten die Sperlinge. Und die Rosen nickten, sie erkannten die grauen Nachbarn und freuten sich, sie wieder zu sehen.[430]
»Wie schön es doch ist, zu leben und zu blühen, alte Freunde und Bekannte zu sehen, und jeden Tag freundliche Gesichter zu erblicken! Hier ist es gerade, als ob jeder Tag ein großer, herrlicher Festtag wäre!«
»Piep!« sagten die Sperlinge, »ja, das sind die alten Nachbarn; ihrer Abstammung von dem Dorfteiche entsinnen wir uns. Piep! Wie die zu Ehren gelangt sind! Manche kommen auch im Schlafe dazu. Was an so einem roten Klumpen Schönes ist, weiß ich nicht! – Und da sitzt doch ein vertrocknetes Blatt, denn das sehe ich ganz genau!«
Dann pickten sie daran, bis das Blatt abfiel, und frischer und grüner stand der Strauch, und die Rosen dufteten im Sonnenschein auf Thorwaldsens Grab, an dessen unsterblichen Namen sich ihre Schönheit anschloß.
Ausgewählte Ausgaben von
Märchen
|
Buchempfehlung
1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.
84 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro